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Rezension: Fraktale und Finanzen, Teil 1

Quelle: Wikimedia, CC BY-SA 3.0
Quelle: Wikimedia, CC BY-SA 3.0

"Unabhängigkeit ist ein grosse Tugend." - so beginnt das Buch Fraktale und Finanzen: Märkte zwischen Risiko, Rendite und Ruin von Benoit B. Mandelbrot und Richard L. Hudson. 

 

Die folgenden knapp 400 Seiten enthalten zahlreiche brillante, unabhängige Gedanken und widersprechen populären Annahmen der modernen Finanztheorie. 

 

 

Während aber das Fraktal, welches den Namen Mandelbrots trägt, bekannt und unvergessen ist (ein Detail des sogenannten "Seepferdchens" bzw. der "Mandelbrot-Menge" zeigt das Bild), gilt dies ganz sicher nicht für seine Arbeiten auf dem Gebiet der Finanzwissenschaft. Ich denke: definitiv eine Lücke, die es zu schließen gilt! Daher möchte ich die Kerngedanken des Buchs hier ausführlich vorstellen, denn es ist gerade jetzt lesenswert.

 


ZU DEN AUTOREN

 

Benoit B. Mandelbrot, geboren 1924 in Warschau, Polen und verstorben 2010 in Cambridge, USA, arbeitete als Mathematiker und IBM Fellow lange Zeit am Thomas J. Watson Research Center. 1975 prägte er den Begriff Fraktal und er gilt als Erfinder der fraktalen Geometrie, mit der reale, rauhe und irreguläre Objekte beschrieben werden können. 1987 verließ er IBM und fand seine neue Heimat an der Universität in Yale, wo er 1999 im Alter von 75 Jahren seine erste Professorenstelle übernahm. Er galt Zeit seines Lebens als Visionär und unabhängiger Geist (Zitate aus dem verlinkten Wikipedia-Artikel). Hinzufügen möchte ich noch: Mandelbrot war ein moderner Universalgelehrter. Einerseits Grundlagenforscher (die Mathematik betreffend), andererseits stets um praktische Anwendung der fraktalen Geometrie in vielen verschiedenen Disziplinen bemüht: Biologie, Physik, Geographie und Kosmologie, aber auch Architektur, Musik, Literatur, sowie Informatik, Chaostheorie und Finanzwissenschaften.

 

Richard L. Hudson, geboren 1955 in Newton/USA  ist Co-Autor und hat an der Universität Harvard studiert. Er arbeitete 25 Jahre für das Wall Street Journal, davon 6 Jahre als Chefredakteur der Europa-Ausgabe, und ist Vorstand und Herausgeber von "ScienceBusiness".

  


DIE BEDEUTUNG des BUCHES

 

Die Originalausgabe ist bereits 2004 erschienen und gewann unter anderem den Preis "Bestes Wirtschaftsbuch des Jahres". Ähnlich wie Mandelbrots Klassiker Die fraktale Geometrie der Natur von 1991 wurde das Buch also zunächst durchaus wahrgenommen und kontrovers diskutiert. Etwas mehr als 10 Jahre später ist es nur noch wenigen Insidern bekannt und seine Kritik an der modernen Finanztheorie findet keine Beachtung mehr. 

 

So ist es bezeichnend, dass der Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften 2013 unter anderem an Eugene Fama verliehen wurde und Mandelbrot bisher unberücksichtigt blieb. Während Fama in den 70er Jahren den Begriff Markteffizienzhypothese prägt und später gemeinsam mit Kenneth French das Capital Asset Pricing Model zum Frama-French Dreifaktorenmodell erweiterte, also den Hauptstrang der derzeitigen Theorie vertritt, war Mandelbrot stets Kritiker dieser Modelle. 

 

Die Bedeutung des Buches liegt meiner Meinung nach - stark verkürzt - darin, dass es die prinzipielle Hypothese formuliert, dass ein gutes Modell die Wirklichkeit zwar vereinfachen und verallgemeinern darf, aber vor allem dann, wenn es kritisch wird, funktionieren muss!

 

Das tun die gegenwärtigen Modelle der Märkte definitiv nicht. Sie funktionieren in den Zeiten, wo das Meer ruhig liegt und die Gefahr gering ist - die Erde ist eine Scheibe. Sie versagen im Sturm und mehr noch: sie können nicht erklären, wie es zu den Blasen und Crashs kommen kann. Also werden diese unwahrscheinlichen Ereignisse als Ausreißer definiert und mit immer neuen Reparatur-Versuchen am bestehenden Modell herumgedoktert.   

 

Warum ist also dieses Buch lesenswert? 

 

Weil erst jetzt, 2016, so langsam auch in den Hinterzimmern die Erkenntnis reift, dass die Notenbanken und große Teile der Finanzwissenschaft weiter mit Schönwetter-Modellen arbeiten und agieren. Wenn ein unabhängiger Denker wie Mandelbrot zeigt, dass die einzelnen Annahmen der populären Theorien absurd sind, sollte man genau zuhören.

 

"So wird dieses Buch keinen Leser reich machen.

Doch es macht ihn klüger - und bewahrt ihn so vielleicht davor, ärmer zu werden."

 


DER INHALT im ÜBERBLICK

 

Bevor ich auf die wesentlichen Kapitel und Kerngedanken im 2. Teil genauer eingehe, zunächst das ausführliche Inhaltsverzeichnis mit einem Kurzkommentar je Kapitel. Das Buch ist gut lesbar - egal ob man einen Zugang zu Mathematik besitzt oder nicht. Es wird weitgehend auf Formeln verzichtet und zum Beispiel mit Abbildungen gearbeitet, die mehr sagen als lange Ausführungen. Natürlich sind Vorkenntnisse und Erfahrungen an den Kapitalmärkten von Vorteil, vor allem in den Teilen der Arbeit, wo es um Risiko, Volatilität und einen Gegenentwurf zu Standardtheorien geht.

 

An den Leser aus der Wissenschaft 

Einleitung - Einführung eines wissenschaftlichen Außenseiters

 

Teil I: Auf die alte Art

Kapitel 1 Risiko, Ruin und Rendite

Die "moderne" Finanztheorie gründet sich auf ein paar fragwürdige Mythen, die uns dazu bringen, das wahre Risiko der Finanzmärkte zu unterschätzen

Kapitel 2 Durch Münzwurf oder Pfeilschuß?

Wie reine Zufallsoperationen genutzt werden können, einen Finanzmarkt zu untersuchen

Kapitel 3 Bachelier und sein Vermächtnis

Mit Bachelier, einem brillanten, aber unterschätzten französischen Mathematiker, begann vor einem Jahrhundert die Untersuchung der Finanzmärkte

Kapitel 4 Das Gebäude des modernen Geldwesens

So wurde der Bau der modernen Finanztheorie - wie man Vermögenswerte bewertet, Portfolios aufbaut und Risiken abschätzt - auf der Grundlage von Bachelier errichtet

Kapitel 5 Ein Verfahren gegen die moderne Finanztheorie

Die geltende Theorie ist durchsetzt mit unzutreffenden Annahmen und falschen Ergebnissen, eine Zusammenfassung der Beweismittel gegen sie.

Essay in Bildern: Darstellung des Abnormen

 

Teil II: Die neue Methode

Kapitel 6 Turbulente Märkte: Eine Vorschau

Finanzmärkte sind turbulent - wie der Wind oder die Flut. Eine Einführung in die fraktale Betrachtung des Finanzsektors

Kapitel 7 Untersuchungen über Rauheit: Ein fraktaler Grundkurs

Wieso ähnelt die Tabelle eines Aktienkurses einem Farn?
Ein Überblick über die fraktale Geometrie

Essay in Bildern: Eine fraktale Galerie
Kapitel 8 Das Baumwollgeheimnis

Der erste Hinweis auf die fraktale Betrachtung tauchte in einer Untersuchung Mandelbrots über Baumwollpreise auf. Ein Bericht über seinen Weg als Wissenschaftler.

Kapitel 9 Langes Gedächtnis: Vom Nil zum Markt

Der zweite Hinweis auf fraktale Finanzen ergab sich aus dem Studium des Nils, das der englische Hydrologe Hurst als Lebensaufgabe betrieb.

Kapitel 10  Noah, Joseph und Marktblasen

Die beiden kritischen Merkmale der Finanzmärkte sind wilde Kursausschläge und langfristige Abhängigkeit - der Noah-Effekt und der Joseph-Effekt

Kapitel 11Die multifraktale Natur der Handelszeit

Wie im multifraktalen Modell der Märkte dargestellt, wird auf den Finanzmärkten die Zeit beschleunigt und verlangsamt.

 

Teil III: Der Weg nach vorn

Kapitel 12 Zehn ketzerische Gedanken zum Finanzsektor

Wie funktionieren Finanzmärkte wirklich? Eine Liste entscheidender Einsichten, die sich aus der fraktalen Betrachtung des Finanzsektors ergeben.

Kapitel 13 Im Labor

Wie kann die Untersuchung von Fraktalen die Finanzwissenschaft verändern? Ein Programm für künftige Forschung.

 

Danksagung

Anmerkungen und Bibliographie

 


ZWISCHENFAZIT

 

Fraktale und Finanzen analysiert die gängigen Modelle der Finanztheorie und stellt ihre historischen Grundlagen, Annahmen und Widersprüche dar. Im zweiten und dritten Teil des Buches wird eine neue Sichtweise, ein neues Modell entwickelt - mithilfe von Fraktalen. Wesentliche Ziele sind, das Verhalten der Märkte und das Risiko für starke, turbulente Preisänderungen zu verstehen und besser beschreiben zu können. Es geht nicht darum, wie Portfolien konstruiert werden können, welche Preise für Optionen oder derivative Produkte angemessen sind oder um die Prognose von Preisen an den Wertpapiermärkten.

 

Diese Probleme bei der Anwendung der neuen Theorie bzw. die auf den ersten Blick nicht vorhandene Nutzbarkeit des fraktalen Modells ("man kann damit kein Geld verdienen") haben wohl dazu geführt, dass in der Praxis institutioneller und privater Investoren Fraktale und deren Mathematik keinen Einzug gehalten haben.

 

Im nächsten Teil des Buchreviews möchte ich einige Kapitel genauer vorstellen und die wesentlichen Kernthesen zusammenfassen.

 

 


EXTRA: VIDEOS mit BENOIT MANDELBROT

 

Als Appetithappen für den zweiten Teil hier noch zwei Interviews mit Benoit Mandelbrot.

Im ersten Interview (TED) erklärt er sehr anschaulich die Natur von Fraktalen und ab 11:30min zeigt er auch seine Daten zu Baumwollpreisen und deren Variation und reist damit das Thema seines Buches an. Das zweite Interview mit der Financial Times behandelt seine Kritik an der Effizienzmarkthypothese.

 

Quelle: Youtube


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