"Die Herren des Geldes" ist ein mit dem Purlitzer Preis ausgezeichnetes Buch des amerikanischen Autors Liaquat Ahamed.
Auf Deutsch ist es 2010 im Finanzbuchverlag erschienen und trägt den Untertitel "Wie vier Bankiers die Weltwirtschaftskrise auslösten und die Welt in den Bankrott trieben". Es erzählt die Geschichte vom Beginn des 20. Jahrhunderts, dem Boom in den zwanziger Jahren und der folgenden, schweren Weltwirtschaftskrise bis schließlich zur Konferenz von Bretton Woods in 1944.
Der Autor hat sich interessanterweise entschieden, dies aus der Perspektive der Männer zu erzählen, die den vier wichtigsten Zentralbanken der Welt zur damaligen Zeit vorstanden: der Bank of England, der Banque de France, der Reichsbank und der Federal Reserve Bank of New York. Deshalb enthält das Buch neben den historischen Fakten und Hintergründen auch sehr viele biografische Details zu Montagu Norton, Emile Moreau, Hjalmar Schacht und Benjamin Strong. Entstanden ist mehr als ein Sachbuch: eine lebendige Geschichte mit tragischen Wendungen und erstaunlich vielen Parallelen zur aktuellen Situation.
INHALT
Zunächst möchte ich einen Überblick über den Inhalt des Buches geben. Es untergliedert sich in fünf Teile und beginnt mit dem ersten Weltkrieg und der Besprechung der Situation in den vier größten Volkswirtschaften der damaligen Zeit sowie dem Werdegang der vier Hauptpersonen bis zu diesem Zeitpunkt.
Teil 1 - Der unerwartete Sturm - August 1914
- Prolog
- Ein seltsamer und einsamer Mann, Großbritannien 1914
- Der junge Magier, Deutschland 1914
- Zwei sichere Hände, Die Vereinigten Staaten 1914
- L'Inspecteur des Finances, Frankreich 1914
- Die Generäle des Geldes, Zentralbanken 1914 bis 1919
Nach dem 1.Weltkrieg liegt das Weltfinanzsystem in Scherben. Großbritannien, Frankreich und Deutschland sind beinahe bankrott und überlastet mit Schulden bzw. Reparationszahlungen. Die Kreditschöpfung und der weltweite Handel liegen in Trümmern, ausschließlich die USA gehen gestärkt daraus hervor.
Teil 2 - Nach der Sintflut - 1919 bis 1923
- Verrückte Ideen, Die deutschen Reparationszahlungen
- Onkel Shylock, Kriegsschulden
- Ein barbarisches Relikt, Der Goldstandard
In Teil 2 wird davon berichtet, wie die Zentralbanken versuchen, das System zu rekonstruieren. Angestrebt wird dabei die Rückkehr bzw. Wiedereinsetzung des Goldstandards in jedem Land (jede Zentralbank garantiert den Umtauch von Gold gegen jede beliebige Menge der eigenen Währung). Da die Menge einer Währung somit automatisch, ja fast mechanisch an die Höhe der Goldreserven der jeweiligen Zentralbank gekoppelt ist, führt dies zu einer Begrenzung inflationärer Tendenzen und der Handlungsspielräume der Zentralbanken. Dabei ist es wichtig zu wissen, dass zu dieser Zeit der dominierende Auftrag der Zentralbanken die Bewahrung des Wertes der eigenen Währung ist.
Teil 3 - Einen neuen Wind säen - 1923 bis 1928
- Eine Brücke zwischen Chaos und Hoffnung, Deutschland 1923
- Der Dawes-Plan, Deutschland 1923
- Der goldene Kanzler, Großbritannien 1925
- La Bataille - die Schlacht, Frankreich 1926
- Die ersten Regenschauer, 1926 bis 1927
- Ein kleiner Schluck Whisky, 1927 bis 1928
Im 3.Teil sieht es zunächst danach aus, als würden die getroffenen Maßnahmen fruchten und stabilisierend wirken. Der verabschiedete Dawes-Plan und die Beendigung der Hyperinflation in Deutschland lassen Hoffnung aufkommen. Aber unter der Oberfläche gibt es weiter Warnzeichen und John Maynard Keynes tritt als Kontrapunkt zu den Zentralbankiers auf den Plan. Er ist zwar "nur" Wirtschaftswissenschaftler, Beobachter und Kommentator, aber seine Kritik des Goldstandards und seine oft zutreffenden Analysen und Prognosen lassen das Gewicht seiner Meinungsäußerungen schnell zunehmen. 1926 kommt es unter anderem zu einer Währungskrise rund um den Franc und die Regierung der USA interveniert bei der Zentralbank, darum bemüht den Anstieg der Aktienkurse an den amerikanischen Börsen mittels Kreditverknappung zu bremsen. Deutschland hingegen erlebt ein kleines Wirtschaftswunder mit stark steigendem BIP, doch dabei verschuldet es sich immer stärker im Ausland. Gegen Ende des Jahrzehnts war damit der toxische Cocktail angerichtet, der die Welt in eine Depression stürzen sollte: eine Spekulationsblase am amerikanischen Aktienmarkt, die exzessive Auslands-verschuldung Deutschlands und der immer schlechter funktionierende Goldstandard mit einem überbewerteten Pfund und unterbewerteten Franc.
Teil 4 - Einen Sturm ernten - 1928 bis 1933
- Hinein in den Strudel, 1928 bis 1929
- Die Läuterung der Verdorbenheit, 1929 bis 1930
- Probleme mit dem Magnetzünder, 1930 bis 1931
- Eine tickende Zeitbombe auf dem Deck der Welt, 1931
- Goldene Fesseln, 1931 bis 1933
Teil 4 beschreibt wie die Abwärtsspirale beginnt und sich immer schneller zu drehen beginnt. Die Spekulationsorgie in den USA zieht zunächst weltweite Kapitalströme an. Deutschland ist bald von den Auslandskreditmärkten abgeschnitten und wird in die Rezession gestoßen. Großbritannien kämpft um den Erhalt seiner Goldreserven und erhöht die Zinsen um 1% trotz bereits hoher Arbeitslosigkeit. Die Rohstoffpreise fallen auf breiter Front, die Aktienkurse an der Wall Street steigen immer schneller. Als dann der schwarze Freitag am 29.10.1929 den Dow Jones trifft, geht man zunächst von einer begrenzten Wirkung auf den Rest der Welt aus, Europa wähnt sich in Sicherheit.
Die FED senkt bis ins Frühjahr hinein die Zinsen in mehreren Schritten, verschiedene Interventionen durch die Regierung, die Zentralbank und große Geschäftsbanken werden unternommen, um einen Zusammenbruch des Banksystems zu verhindern als kleinere Banken pleite gehen. Trotzdem sinkt die Industrieproduktion in den USA in der Folge um 30 Prozent, in Deutschland um 25 Prozent und in Großbritannien und Frankreich um 20 Prozent. Die Arbeitslosenzahlen steigen auf 5 Millionen in den USA, 4.5 Millionen in Deutschland und 2 Millionen in Großbritannien. Nur in Frankreich bleiben sie zunächst niedrig. Die Rohstoffpreise für Kaffee, Baumwolle, Kautschuk und Weizen fallen um mehr als 50 Prozent, die Großhandelspreise um 15 Prozent und die Verbraucherpreise um 7 Prozent. Die Deflation hat das Kommando übernommen. Fast auf der gesamten Welt verschwindet Gold aus dem Geldkreislauf und Kredite wurden knapp. Zur Eskalation der Lage kommt es, als Ende 1930 in den USA die Bank of United States bankrott geht und das Vertrauen in das System insgesamt erschüttert. In Deutschland sind es im Sommer 1931 die Insolvenz von Nordwolle (einem großen Textilunternehmen) und der Danatbank, sowie ein weiterer Einbruch der Industrieproduktion um 20%, die die Abwärtsspriale befeuern.
Großbritannien sah sich ebenfalls mit einer wirtschaftlichen Depression, einem galoppierenden Haushaltsdefizit und weiter steigendem Abfluss seiner Goldreserven konfrontiert. Trotz eines Versuchs mittels Krediten aus USA und Frankreich die Situation zu meistern, musste es im September 1931 schließlich den Goldstandard verlassen. Diese Krise breitete sich in der Folge über den Atlantik aus, da Europäer begannen, Dollar in Gold zu tauschen. In einem einzigen Monat nach dem Austritt Großbritanniens gingen 522 amerikanische Banken pleite, bis zum Ende des Jahres sollten es 2294 Banken mit Kundeneinlagen von ca 1.7 Milliarden Dollar werden. Die schwindenden Goldreserven der FED ihrerseits führten aufgrund einer heute anachronistisch anmutenden Anforderung, dass jeder Dollar zu 40 Prozent mit Gold gedeckt sein soll, zu einer folgenschweren Entscheidung: einer Zinserhöhung von 1.5 auf 3.5 Prozent im Oktober 1931. Da die Preise gleichzeitig um 7 Prozent sanken, erhöhte diese Maßnahme die effektiven Kosten des Geldes auf mehr als 10 Prozent. In der Folge war jeder einzelne ökonomische Indikator der Weltwirtschaft im freien Fall und die Unternehmen schrieben hohe Verluste. Obwohl sich jeder einzelne Anleger, Bankier, Unternehmer recht rational verhielt, um sich zu schützen, führten ihre Aktionen insgesamt zu einem Dominoeffekt, der eine Kreditklemme und Kreditausfälle und so weiter und so fort auslösten.
Teil 5 - Die Nachwirkungen - 1933 bis 1944
- Der Goldstandard auf Zechtour, 1933
- Die Karawanen ziehen weiter, 1933 bis 1944
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Epilog
Der letzte Teil des Buches beginnt mit der Amtseinführung Roosevelts als amerikanischer Präsident. Nach der Schließung der Banken für mehrere Tage und dem Emergency Banking Act konnte er das Vertrauen der Bevölkerung in das Banksystem wieder herstellen und begann in den ersten 100 Tagen seiner Amtszeit eine Reihe von Gesetzen und Reformen auf den Weg zu bringen. Darunter unter anderem der Glass-Steagal-Act zur Trennung der Geschäfts- und Investmentbanken sowie der Agricultural Adjustment Act, der die vorübergehende Abschaffung des Goldstandards und die Abwertung des Dollars besiegelte. Dies war der Schlüssel zur wirtschaftlichen Erholung, weil die Preise wieder zu steigen begannen und die wirtschaftliche Aktivität wieder zulegen konnte. Den Schlußpunkt des Buches bildet die Konferenz von Bretton Woods, wo anstelle des Goldstandards ein flexibles Wechselkurssystem mit dem Dollar als Ankerwährung geschaffen wurde. Außerdem wurden die Institutionen Weltbank und Internationaler Währungsfonds initiiert.
Déjà-vu ?
Die Zusammenfassung eines so komplexen Themas, dargestellt auf fast 600 Seiten, ist nicht einfach. Ich hoffe, es ist trotzdem gelungen. Beim Lesen des Buches hatte ich eine Reihe von Déjà-vu-Erlebnissen in Bezug auf die Entwicklung der Finanzmärkte seit 2007/08. Die offensichtlichste Parallele ist der starke Einfluss der Zentralbanken damals wie heute. Und auch die Begründung für ihre Aktionen hat sich nicht verändert: das wesentliche Ziel ist es, einen Zusammenbruch des Bankensystems unter allen Umständen zu verhindern. Es ist aber auch bezeichnend, dass der Versuch eine Krise zu verhindern oft dazu führt, dass die nachfolgende Katastrophe um so schlimmer wird.
Offensichtlichster Unterschied zu damals: nur relativ primitive Werkzeuge und Informationsquellen standen zur Verfügung. Gute Wirtschaftsstatistiken gab es in den zwanziger Jahren erst seit kurzem, kommuniziert wurde per Post oder Telegraph, erst ganz am Ende wurden Telefonate möglich. Erschreckend hingegen, dass damals wie heute das Handeln einzelner Personen den Gang der Dinge entscheidend veränderte: sei es die Politik des New Deal von Roosevelt aus dem "Bauch heraus" eingeleitet, die Animositäten zwischen Moreau (Banque de France) und Norman (Bank of England) was eine echte Kooperation in Währungsfragen unmöglich machte oder die Entscheidung von Bernanke und Paulson die Pleite von Lehman Brothers in Kauf zu nehmen.
Dass der Autor für dieses Buch den Pulitzer-Preis erhielt, ist absolut verdient, denn es gelang ihm ein tatsächlich spannendes Sachbuch über Wirtschaftsgeschichte zu schreiben. Die Transformation der Ereignisse auf eine persönliche Ebene der Beteiligten macht sie viel verständlicher und nachvollziehbarer. Mit ein wenig Abstraktionsvermögen erkennt man erschreckende Parallelen zur heutigen Situation, daher ist dieses Buch gerade jetzt lesenswert.
Weitere Rezensionen des Buches
R.Manthey, Lovelybooks.de:
Wie sich die Dinge wiederholen: Krise unterdrückt - Katastrophe erzeugt
B.Ulrich, Deutschlandfunk.de
G.Braunberger, FAZ.de
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Mario (Freitag, 27 November 2015 14:04)
Das Buch habe ich vor einiger Zeit auch schon gelesen. Wirklich sehr empfehlenswert!