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Der Blick in den (Rück-) Spiegel #1 

Bereits im November 2015 erschien der Artikel "Money doctors or self-medication? Equity portfolio delegation during stock market crises" von Daniel Dorn und Martin Weber. Beide Autoren forschen und publizieren seit langem zu Behavioral Finance und dem Anlageverhalten von institutionellen und Privatinvestoren. Daniel Dorn ist als Associate Professor Finance an der Drexel University in Philadelphia, PA, USA tätig, Martin Weber hält die Professur für Bankbetriebslehre in Mannheim.

 

Er dürfte vielen Privatanlegern durch sein Buch "Genial einfach investieren" und den von ihm initiierten Investmentfonds "ARERO" auf Basis von ETFs bekannt sein. Der Artikel ist ein aktuelles Beispiel, welche Perspektive wissenschaftliche Forschung zur Geldanlage heute einnimmt: durch den Blick in den Rückspiegel sollen die Leser lernen, besser Auto zu fahren.

 

Kann das funktionieren?

 


"Wenn ein Ökonom sich mit einem Widerspruch zwischen

Theorie und statistischen Daten konfrontiert sieht,

verabschiedet er sich von der Theorie,

die Finanzbranche verabschiedet sich von den Daten."

 

Andrew Smithers


DIE HERANGEHENSWEISE

Die Studie verwendet die Daten von 40000 Anlegern einer deutschen Bank und analysiert den Zeitraum 2007 bis 2011. Der erste Themenkomplex lautet: Wie verändert sich der Anteil an direkten Investments (also Einzelaktien) und indirekten Investments (also aktive und passive Fonds) relativ zum Gesamtportfolio über den Zeitablauf? Daraus ergibt sich die Frage: warum ist das so? Weiterhin wird untersucht, wie die Zusammensetzung der Investoren-Stichprobe ist (Alter, Geschlecht, Beruf, Portfoliogrößen), ob Einsteiger, Durchhalter und Aussteiger bestimmte, spezifische Merkmale zeigen, was verallgemeinerbar ist und ob Investoren aus den USA genauso gehandelt haben.

 

In den untersuchten Zeitraum fallen drei wesentliche Ereignisse, die das Anlegerverhalten beeinflußt haben: die Finanzkrise nach dem Kollaps des amerikanischen Immobilienmarktes in 2007 mit deutlichen Kursrückgängen weltweit, die Einführung der Abgeltungssteuer ab 2009 in Deutschland sowie last but not least die Korrektur vor allem an europäischen Börsen im Zuge der Staatsschulden- und Griechenlandkrise in 2011.

 

Der zweite Teil der Arbeit beschäftigt sich mit der Performance und Volatilität der Portfolios nach den erfolgten Umschichtungen im Vergleich zum Buy-and-Hold. Diesen Teil möchte ich in einen zweiten Artikel auslagern, damit der Artikel nicht zu lang wird.

 


DIE KERNAUSSAGEN 

In der Einführung betonen die Autoren, wie wichtig Diversifikation ist und das sie am besten über das Vehikel Investmentfonds (aktiv oder passiv gemanagt) zu erzielen sei.

 

Die Anleger scheinen aber diese Erkenntnis seit 2008 nicht mehr zu beherzigen:

  • Von 2007 bis 2011 fällt der Anteil indirekt durch Fonds gehaltener Aktien, also von delegierter Anlage in Aktien von 44% auf 22% (Medianwerte, das heißt 50% der Anleger haben eine Quote unter/über diesen Wert.)
  • Berechnet man den Anteil über die gesamte Stichprobe anhand der Investitionssumme, sinkt der delegierte Anteil auf 32%. (Kurve value weighted, Quotient aus Wert der Fonds zu Gesamtwert aller Portfolios)
  • Berechnet man den Anteil für jeden Investor anhand der Investitionssumme individuell, sinkt der Anteil auf 42%. (Kurve equally weighted, Quotient aus Wert der Fonds zu Portfoliowert je Investor, danach Durchschnittsbildung also gleichgewichtete Betrachtung).

 

Bild 1: Anteil delegierter Investments (in Prozent) über den Zeitverlauf, Quelle: Dorn/Weber, SSRN-2705435
Bild 1: Anteil delegierter Investments (in Prozent) über den Zeitverlauf, Quelle: Dorn/Weber, SSRN-2705435

 

Die Autoren schlussfolgern, dass in 2008 Privatinvestoren das Vertrauen in Fondsmanager verloren haben und daher die Geschicke ihrer Geldanlage in die eigenen Hände nahmen. Sie sind davon überrascht, dass das über eine Ausweitung der Investition in Einzelaktien geschieht!

 

Exkurs: Diese Beobachtung steht im übrigen im Gegensatz zu der immer wieder zu lesenden These der schlechten oder im Niedergang befindlichen deutschen "Aktienkultur". Ein Thema über das man zahlreiche Artikel schreiben kann, untermalt von Kennzahlen zum Anteil der Bevölkerung, der in Aktien investiert ist oder dem in Aktien gehaltenen Vermögen relativ zum Gesamtvermögen. 

 

Die Motivation der Artikel beiseite gelassen: diese Betrachtung stellt auf eine sehr enge Definition von Kultur ab. Wenn Kultur im weitesten Sinne das ist, was Menschen selbst gestalten, dann heißt Aktienkultur, selbstbestimmt in Einzelaktien anzulegen. Wenn die Aktienkultur florieren soll, dann durch Bildung und Diskussion, sicher nicht durch Delegation auf aktive oder passive Fonds.

 

Wo ist sie aber zu lesen, die Schlagzeile: "Mehr Aktienkultur in Deutschland seit 2007" ?

Nirgends !

 

Oder geht es nur darum, Anleger für Investmentprodukte zu akquirieren, früher ein aktiver Investmentfonds, später ein Zertifikat, ein ETF oder eine strukturierte Anleihe ?

 

Die zahlreichen Internetseiten und Blogs sind ein Indiz, die Zahlen des Deutschen Aktieninstituts (DAI) zeigen es deutlich: die Aktienkultur ist stabil und wird getragen von zahlreichen neuen Trends. Nur die Finanzindustrie, Wirtschaftswissenschaft und -journalismus scheinen noch nicht bemerkt zu haben - oder ignorieren es bewusst - dass mit Citizen Science, Internet und Sharing Economy starke Gegengewichte entstanden sind, die relevante Fragestellungen jenseits von Marketing, Werbung oder Auftragsforschung aufgreifen und bearbeiten. 

 

Bild 2: Weniger Investoren - relativ mehr Einzelaktien seit 2007, Quelle: DAI in Dorn/Weber, SSRN-2705435
Bild 2: Weniger Investoren - relativ mehr Einzelaktien seit 2007, Quelle: DAI in Dorn/Weber, SSRN-2705435

 

Zurück zum Artikel: Weber und Dorn betrachten als Nächstes, wie dieser Rückgang der Delegation zustande kommt, indem sie die Investoren in drei Gruppen einteilen: Neueinsteiger, Durchhalter, Aussteiger. Auch hier ergeben sich interessante Unterschiede:

 

  • Aussteiger: Während der Krise in 2008 haben Anleger, die 100% oder eine hohe Quote in aktiv gemanagten Fonds investiert waren, fast doppelt so häufig wie Einzelaktien-Investoren den Markt verlassen, das heißt, ihre Investition beendet.
  • Durchhalter: Vor allem Anleger mit einem hohen Anteil Einzelaktien sind weniger gefährdet auszusteigen. Sie haben ihre Aktienquoten sogar ausgebaut, indem sie während der Krise in bekannte, große Aktiengesellschaften aus dem Heimatland investiert haben (Home bias). Der Anteil von aktiven oder passiven Fonds liegt in diesen Portfolios zuletzt bei ca. einem Drittel.
  • Einsteiger: Sie bevorzugen zum Einstieg Aktien statt Fondspositionen, typischerweise sind es junge Investoren mit kleinen Depots und wenigen Positionen. Zusammmen mit den Aussteigern tragen sie nicht unwesentlich zum Trend bei, dass die Quote der delegierten Investments über den betrachteten Zeitraum abnimmt.

Zusammenfassend vertreten die Autoren die Meinung, dass die Daten ein irrationales Verhalten der Anleger offenbaren. Denn wer nicht das Vertrauen hat, selbstständig in Aktien anzulegen, sollte 100% seiner Anlagen managen lassen. Und wer in einer Finanzkrise das Vertrauen in seine Fondsmanager ("Money doctors") kurzfristig verliert, dem sind nicht etwa die Augen geöffnet wurden, sondern er schädigt seine finanzielle Gesundheit. (Die Begründung dafür sind die leicht höheren Renditen der hypothethischen Buy-und-hold Portfolien, worauf ich im zweiten Teil des Artikels eingehen möchte). Der "Failure to delegate" zieht sich also wie ein roter Faden durch die Publikation und damit habe ich ein Problem!

 

Bild 3: Vergleich der entering/continuing/exiting Investoren 2007/11, Quelle: Dorn/Weber, SSRN-2705435
Bild 3: Vergleich der entering/continuing/exiting Investoren 2007/11, Quelle: Dorn/Weber, SSRN-2705435

"Ihr Erfolg oder Misserfolg beim Investieren wird letztendlich

von Ihrer Fähigkeit abhängen, die Sorgen der Welt 

lange genug zu ignorieren, damit Ihr Investment Erfolg haben kann.

 

Es ist in diesem Sinne also nicht der Kopf, sondern der Bauch,

der Ihr Anlegerschicksal bestimmt."

 

Peter Lynch


DAS PROBLEM

Auch wenn es die Wirtschaftswissenschaft so betrachten und diskutieren möchte: Menschen haben Emotionen und ein ausschließlich rationales Handeln zu erwarten, ist unrealistisch. Das heißt auch, dass sie hauptsächlich aus ihren eigenen Erfahrungen lernen, dann aus der Interaktion und dem Austausch mit Freunden, Gleichgesinnten und Mentoren und erst zuletzt aus den theoretischen Betrachtungen, wie der zitierte Artikel von Weber und Dorn.

 

Zu kritisieren, dass Anleger die Kontrolle über ihre Investments übernehmen wollen (indem sie Aktien ihnen bekannter Unternehmen auswählen, anstatt der Black-Box Fonds) oder dass sie antizyklisch in der Krise ihre Aktienquote ausweiten, statt weiter zu delegieren und "buy and hold" zu praktizieren, ist einfach. Aber aus meiner Sicht maximal eine Nebenkriegsschauplatz. 

 

Wichtiger, ja zentraler Punkt, ist nicht das verwendete Produkt, sondern eine Strategie zu befolgen, sie durchzuhalten und mit dem Risiko umgehen zu können. Es ist also meiner Meinung nach viel schwerwiegender, dass zahlreiche Investoren in (vor allem aktiven) Aktienfonds den Markt während der Krise 2008 komplett verlassen haben! Zu einem Zeitpunkt, wo die Kurse sehr niedrig waren, wechselnd in Alternativen, die langfristig eine deutlich niedrigere Rendite aufweisen, möglicherweise endgültig. 

 

Im Artikel liefern Weber und Dorn auch Daten aus den USA, die die gleichen Tendenzen hin zu Einzelaktien wie in Deutschland aufzeigen und verweisen darüber hinaus auf eine Studie mit dem Titel "Abusing ETFs" von Bhattacharya (2014), wonach die Haltedauer von passiven Fonds (ETFs) oftmals noch kürzer ausfällt, als die von aktiven Fonds oder Einzelaktien. Daher scheint es in der Tat so zu sein, dass Strategien um so leichter aufgegeben werden, je einfacher sie realisierbar erscheinen bzw. das subjektive Sicherheit wesentlicher ist, eine Strategie durchzuhalten, als Diversifikation bzw. die Streuung von Risiko.

  • Recherche-Aufwand, Kontrollmöglichkeit, subjektives Sicherheitsgefühl:  
    Aktie >  aktiver Aktienfonds >  passiver Indexfonds (ETF)
  • Beeinflussbarkeit, "objektive" Sicherheit durch Diversifikation, typische Haltedauer:
    ETF < aktiver Fonds < Aktie

Wer diese Punkte begriffen hat, kann sich natürlich vornehmen, ausschließlich, langfristig und kontinuierlich in ETFs anzulegen. Oftmals ist das aber genauso Selbstüberschätzung, wie der Versuch mit Einzelaktien-Auswahl stets einen Index zu schlagen. Damit man die Stratgie findet, die zu einem paßt, kann man auch nicht beliebige Stationen der Lernkurve überspringen.

 

Also: nehmen sie sich Zeit, auf ihre Emotionen Rücksicht zu nehmen, finden sie eine individuelle Lösung, die zu ihren Erfahrungen passt und wo sie Unterstützung finden, das mit jeder Geldanlage verbundene Risiko zu tragen, damit sie durchhalten und nicht vorzeitig ausscheiden!

 

Denn Auto fährt man, indem man ab und zu in den Rückspiegel schaut, auf der Straße bleibt, aber vor allem: vorausschauend.

 


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Kommentare: 1
  • #1

    Christian (Samstag, 06 Februar 2016 22:57)

    Sehr schön. Eine gelungene Mischung aus Buchbesprechung und Darstellung der eigenen Meinung. Das Buch werde ich mit vielleicht mal anschauen, allein wegen der Statistiken.