Daniel Stelter, bekannt als Kolumnist der Wirtschaftswoche und des Manager Magazins, hat Ende Februar sein neues Buch veröffentlicht: "Eiszeit in der Weltwirtschaft".
Da ich die vorherigen Bücher bereits gelesen habe ("Die Krise ist vorbei ... macht Pause ... kommt erst richtig" zur Eurokrise sowie "Die Schulden im 21.Jahrhundert" eine Replik auf Thomas Pikettys Buch), war ich neugierig, welche neue Gedanken das Buch enthält und ob es Stelter gelingt, dem Untertitel gerecht zu werden.
Enthält das Buch wirklich belastbare, praktisch anwendbare Ratschläge, wie man sich besser vor den (geld-)politischen Unwägbarkeiten des 21.Jahrhunderts wappnen kann?
INHALT und kerngedanken
Daniel Stelter kann auf eine umfangreiche Sammlung von Materialien, Artikeln und Charts zurückgreifen, um zu schildern, wie es zur gegenwärtigen Situation gekommen ist. Seit 2013 betreibt er die Internetseite think-beyondtheobvious.com und veröffentlicht regelmäßig Blog-Artikel, einige lesenswerte Beispiele wurden im Covacoro-Wochenrückblick bereits zitiert.
Wer dort regelmäßig vorbeischaut, ist mit den Kerngedanken der ersten beiden Teile des Buches bereits vertraut.
Teil 1: Der Weg in die Eiszeit
- Money for nothing
- Die Rolle der Banken
- Deutschland und der Euro
- Die demografische Krise
- Die Produktivitätskrise
Stelter rekapituliert, wie es zur Finanzkrise 2009 kam und warum nach mehreren Jahrzehnten des Kreditbooms, diese Krise weit ernster als das normale Auf und Ab des Kreditzyklus war und ist. Acht Jahre später sind die grundlegenden Probleme vor allem im Euroraum weiter ungelöst: die Schuldenstände in Relation zum BIP sind weiter gewachsen, das Bankensystem leidet immer noch unter faulen Schulden, die Euro-Krisenländer haben ihre Wettbewerbsfähigkeit kaum verbessert, die Währungsunion krankt immer noch an ihren Geburtsfehlern und es wurde kein Ventil geschaffen, um im Fall akuter Krisen eine geordnete Abwicklung zu ermöglichen.
Hinzu kommen eine schrumpfende Erwerbsbevölkerung (bis auf wenige Ausnahmen z.B. USA, Indien, Indonesien) und ungedeckte soziale Systeme (Renten und Gesundheit), was er als demografische Krise bezeichnet. Da das Wachstum der Vorkrisenzeit nicht zurückkehrt und die Investitionen im Verhältnis zum BIP in den G5-Staaten deutlich zurückgegangen sind (sowohl der Staaten als auch der börsennotierten Unternehmen), prognostiziert er weniger Wachstum und keine wesentlichen Fortschritte bei der Produktivität - das Eiszeit-Szenario. Dabei wäre ein Produktivitätsschub und Innovationen dringend nötig, um die Krise und ihre Folgen bekämpfen zu können.
Teil 2: Die Politik verschärft die Eiszeit
- Die Antwort auf die Krise - noch mehr Schulden
- China - Schuldenwirtschaft nach westlichem Vorbild
- Planlose Euroretter
- Japan: Vorbild für Europa?
Im zweiten Teil werden die bisherigen Aktionen der Politik und der Notenbanken unter die Lupe genommen. Wie die Kapitelüberschriften bereits vermuten lassen, wird deutliche Kritik geübt. Diese will ich hier im Detail nicht wiederholen, sondern stattdessen aufgreifen, was Stelter als notwendig und erstrebenswert erachtet. Da ist zum einen ein "Maßstab" für eine normal funktionierende Ökonomie: ein nominales BIP-Wachstum von 3 Prozent, ein Zinsniveau von 5 Prozent und eine Schuldenlast von maximal 60 Prozent des BIP je Sektor (Staat, Unternehmen, Privat). Diese Zahlen bewirken eine annähernd stabile Schuldenquote (0.6 x 5 = 3), da die Neuverschuldung den Zinszahlungen für die bereits ausstehenden Schulden entspricht. Die Schulden, die über 180 Prozent des BIP hinausgehen, bezeichnet Stelter daher als langfristig nicht tragfähig oder ungedeckt.
Seine Aufforderung an die Politik ist daher ein Aktionsplan: Eingestehen der Überschuldung, danach Bereinigung des Schuldenüberhangs über dem Limit von 60 Prozent, defakto also ein
Schuldenschnitt mit gemeinsamer Haftung aller Euroländer für diesen Schuldenüberhang.
Die Abtragung des Schuldenbergs soll in einem geordneten Verfahren mittels Eurobonds, EZB-Finanzierung und Solidarität geschehen und wird mindestens 20 Jahre dauern. An einem Schuldenerlass für
bestimmte Pleiteländer und Übernahme der Lasten durch leistungsfähigere Staaten wird man nicht umhin kommen - das versteht Stelter unter Solidarität. Im Gegenzug dafür soll
man einfordern, dass für alle neuen Schulden eine gemeinschaftliche Haftung ausgeschlossen ist und eine Regelung für Staatsinsolvenzen getroffen wird. Das soll dazu führen, dass die
Kapitalmärkte die Kreditwürdigkeit der einzelnen Euroländer differenziert betrachten und eine Wiederholung der Geschichte ausbleibt. Letztendlich benötigt dieser Vorschlag aber vor allem echte
Reformen in den sogenannten Krisenländern, damit Staats-Haushalte solide werden und Leistungsbilanz-Defizite saniert werden.
Halten wir also fest: Stelter plädiert für ein unterschiedliches Verfahren für alte und zukünftige Schulden, sieht aber auch die Notwendigkeit für echte Reformen, die in den jeweiligen Staaten unpopulär sind und politisch schwer durchzusetzen sein werden.
Die politische Diskussion favorisiert hingegen ein gemeinsames Verfahren, also letztendlich die gemeinsame Haftung im Euroraum aller für alles und eine stärkere "Fiskalunion". Dies würde die Aufgabe der nationalen Autonomien im Bereich der Finanzpolitik bedeuten, keines der ökonomischen Probleme lösen und ist politisch ebenfalls schwer durchsetzbar.
Welches Szenario ist realistischer und wahrscheinlicher? Ich weiß es nicht. Der Autor vermutet wahrscheinlich zurecht, dass die Dinge erst noch deutlich schlimmer werden müssen, bevor eine Lösung ernsthaft gesucht wird.
Teil 3: Dreißig Jahre Eiszeit?
- Die These von der säkularen Stagnation
- Chaos und deflationärer Kollaps
- Sanierung durch Schuldenschnitt
- Die Notenbanken sollen es richten
- Geldreform und Schuldentilgung - zwei Fliegen mit einer Klappe?
- Jeder gegen Jeden in der Eiszeit
Im dritten Teil des Buches werden die Meinungen und Positionen anderer Autoren aufgegriffen und diskutiert. Dazu gehören Larry Summers (früherer US-Finanzminister), Stephen King (damaliger Chefvolkswirt der HSBC), Ray Dalio (Hedgefonds Bridgewater) und Martin Wolf (Chefökonom der Financial Times). Die Meinungen und Lösungsvorschläge sind zum Teil konträr und bewegen sich zwischen den Polen Deflation und Hyperinflation. Sowohl ein möglicher Währungskrieg wird thematisiert als auch das bisherige Reformversuche zu kurz greifen und ganz neue Wege beschritten werden müssen (z.B. Übergang zum Vollgeldsystem).
Dieses böte die Chance, die existierende Überschuldung elegant zu bereinigen und die Eiszeit zu verkürzen. Aber die Realisierungswahrscheinlichkeit dafür ist gering, weshalb es laut Stelter wahrscheinlicher ist, dass die Politik an einen Punkt gelangen wird, wo sie den letzten Trumpf ziehen wird und eine umfassende Monetarisierung der Schulden einleitet. Die Folge könnte eine deutliche Inflation sein. Ebenso denkbar ist, dass zu spät reagiert wird und es eine Serie von Zahlungsausfällen und ungeordneten Euroaustritten geben wird, wobei Stelter als Topkandidat hier Italien sieht und nicht Großbritannien. In allen Fällen sieht Stelter aber das Risiko von erheblichen Vermögensverlusten, was uns zum Teil 4 - Überleben in der Eiszeit bringt.
Teil 4: Überleben in der Eiszeit
- Kalte Zeiten - kühler Kopf
- Wer verliert, erfriert
- Mit Disziplin durch die Eiszeit
Die meisten Käufer werden - angelockt vom Untertitel - sich für diesen Teil des Buches am stärksten interessieren. Auf immerhin knapp 100 von 315 Seiten geht es um Kapitalanlage und Strategien, die Eiszeit und die Nebenszenarien zu überleben und zu bewältigen. Da Stelter für die Wirtschaft ein unerfreuliches Szenario voraussieht (wenig Wachstum und Innovationen) und der Politik wenig Vertrauen entgegenbringt (Stichwort: keine konstruktiven sondern eher opportunistische Lösungen), geht er im Basisszenario von Crashrisiken, Vermögensverlusten und Vermögensumverteilung aus.
Die Geschichte der letzten 30 Jahre kann seiner Meinung nach nicht Maßstab sein: es war eine Phase der Expansion, der Deregulierung, des starken Wachstums von Schulden und Vermögen und man ist nunmehr am Gipfel angekommen. Er empfiehlt keinen Tipps glauben zu schenken (auch wenn sein Buch ja Ratschläge enthält, er bezieht dies aber vor allem auf Bank- und Finanzberater) und selber zu denken. Soweit so gut.
Er schildert das Beispiel, wie Banken und andere professionelle Anleger mit Wertpapieren der Hypo Alpe Adria erneut Geld verloren, indem sie zweifelhaften Schuldnern Geld anvertrauten, sprich weiter die Risikomodelle der Vergangenheit nutzten, statt im Kontext der Finanzkrise die bisherigen Modelle über Bord zu werfen und über den Tellerrand zu blicken. Oder wie sprachlos es macht, wenn Banken bezüglich der Freigabe der Euro-Franken-Bindung durch die Schweizer Nationalbank von einem 20-Sigma-Ereignis sprechen und dreistellige Millionenbeträge verloren haben. (Anmerkung: Ein 7-Sigma-Ereignis tritt einmal in 3 105 395 365 Tagen ein - fünfmal länger, als es Leben auf der Erde gibt, bei 20-Sigma ist die Zahl unvorstellbar groß und die Wahrscheinlichkeit rechnerisch verschwindend). Man kann nur beipflichten: selbst denken und Risikoeinschätzungen nicht mathematischen Modellen überlassen.
Daher empfiehlt Stelter ganz pragmatisch: Kosten senken, weniger Handeln und stärker überregional diversifizieren. Seine Antwort sind also keine exotischen Investitionsvehikel, sondern mehr Disziplin und eine möglichst breite Portfolioaufstellung.
Im Vordergrund sollte dabei zunächst die Verlustvermeidung stehen, denn anhand des CAPE (siehe auch diese Studie von Starcapital) weist er nach, dass die zu erwartenden Markt-Renditen in der Folge deutlich geringer sein sollten. Stelter ist kein Freund von Indexfonds, da sie auf die Marktkapitalisierung und die Veränderung derselben schauen. Für ihn ist das Herdenverhalten und prozyklisch, ja wer heute in Indexfonds investiert, "entscheidet sich für den sicheren Verlust - bei Renten- wie auch Aktienfonds". Anleger sollten ernsthaft erwägen, ein eigenes Portfolio zusammenzustellen, das sich an den Grundsätzen Grahams orientiert (Value-Anlagestil) und bestimmte Branchen (Banken, Versicherungen, ...), bestimmte Länder (Krisenländer mit Gefahr der Änderung von Kapitalverkehrsfreiheit und Besteuerung) sowie Unternehmen mit schwachem Geschäftsmodell und hoher Verschuldung meidet.
Aufgrund der hohen Unsicherheit, wie schnell das Szenario Eiszeit in einen Schuldenschnitt und Monetarisierung mündet, gibt er generell die Empfehlung mit jeder Art von Schulden vorsichtig zu sein. Schulden sind aus seiner Sicht nur dann gut, wenn sie produktiven Zwecken dienen und fraglich, wenn sie einerseits auf die Wertsteigerung des gekauften Objektes zielen oder andererseits auf den Verfall des Geldwertes spekulieren. Kredite zu einem Zinssatz nahe Null sind auch dann teuer, wenn die zugrunde liegenden Vermögenspreise fallen. Verschuldung für Immobilien ist aus diesem Blickwinkel keine Strategie zum Vermögenserhalt in der Eiszeit.
Trotzdem sind Immobilien eine der fünf Anlageklassen, die ein Investor laut Stelter besitzen sollte, daneben sind es Qualitätsaktien, Anleihen solider Schuldner, Liquidität und Gold. Stelter diskutiert in seinem Buch zu jeder Kategorie, wie sie sich bei Deflation und Inflation entwickelt und welche Aufgabe ihr im Rahmen der Strategie zukommt. Dabei legt er sehr viel Wert auf eine regionale Diversifikation, da er für den Euroraum sehr skeptisch ist: also auch für die Liquidität und Anleihen, nicht nur bei Aktien. Es würde an dieser Stelle zu weit führen, dazu alle Details aufzulisten.
Im Hinblick auf Aktien schlägt er Kriterien vor, wonach diese ausgewählt und beurteilt werden sollten, sprich was er unter Qualitätsaktien versteht. Diese Ausführungen gehen vermutlich auf eine Studie der Boston Consulting Group zurück, an der Stelter beteiligt war und die über 9000 Unternehmen hinsichtlich Geschäftsmodell und Profitabilität untersucht hat (siehe zum Beispiel diesen Handelsblatt-Artikel). Dem kann man folgen, aber auch hier gilt: selber denken.
In den letzten beiden Kapiteln des Buches geht er auf die Frage ein, wie man anfangen sollte und diskutiert Gold, Negativ- bzw. Niedrigzinsen und bereits hohe Aktienkurse. Dieser Abschnitt ist etwas kurz geraten und insbesondere die Frage, wie man global diversifizieren kann, wenn das Vermögen relativ klein ist, wird nur mit zwei Sätzen beantwortet. Hierzu wird man in Zukunft sicher Beiträge auf seiner Webseite finden können.
Mein Fazit
Ein brauchbarer historischer Abriss der Finanzkrise, ein gut lesbares Wirtschaftsbuch, eine eigene Meinung zur optimalen Konstruktion eines Wertpapier-Portfolios für die Zukunft - das alles vereint Daniel Stelters neues Buch. Manchen Privatanleger wird die Fülle der Daten und die komplexen Vorschläge zum Portfolio überfordern und daher ist das Buch sicher keine leicht verdauliche Kost. Aber es ist wert, mehrfach gelesen und überdacht zu werden und die wesentlichste Botschaft lautet: Selbst denken, diszipliniert handeln !
Nachdem ich das Buch das erste Mal gelesen hatte, war ich zunächst enttäuscht, weil ich kaum neue Gedanken finden konnte und der letzte Teil für einen Einzelaktieninvestor mit Fokus auf Value- und Contrarian-Stil sehr vertraut klingt. Aber mittlerweile habe ich das Buch schätzen gelernt und lese hin und wieder einzelne Kapitel - zum Rekapitulieren der Fakten, einfach zur Anregung oder zur Einordnung anderer Artikel zum Thema.
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