Indexfonds, sogenannte ETFs (Exchange Traded Funds), sind derzeit in Mode und passives Investieren in diese Produkte ist Gegenstand zahlreicher Internetseiten.
Viel ist über ihre Funktionsweise und Kostenvorteile geschrieben worden,
jedes Produktdetail wurde analysiert und
verglichen (zum Beispiel Replikations-
methodenund steuerliche Behandlung).
Zahlreich sind ebenfalls die Diskussionen zur Überlegenheit einer passiven Strategie mittels ETF über andere, aktive Anlagestrategien mittels Einzelaktien oder aktiven Investmentfonds. Dabei werden in der Regel die erzielten jährlichen Renditen nach Kosten verglichen.
Um all diese Punkte soll es an dieser Stelle nicht gehen.
Stattdessen will ich aus dem Nähkästchen plaudern und die Psychologie und Erfahrungen eines Anlegers beleuchten, der bereit sein könnte, in ETFs zu investieren. Ja, sie haben richtig gelesen: der bereit sein könnte. Denn nach mehr als 20 Jahren Beschäftigung mit dem Thema Geldanlage bin ich zur Überzeugung gelangt, dass wie im richtigen Leben auch hier der alte Bibelspruch gilt:
"Ein jegliches hat seine Zeit,
und alles Vorhaben unter dem Himmel hat seine Stunde."
EIN KLEINES GEDANKENSPIEL
Bevor wir uns konkret mit ETFs beschäftigen aber ein kleines Gedankenspiel. Sie leben seit einigen Jahren in der Großstadt Moneta und kennen sich gut mit dem lokalen Wetter und der Infrastruktur aus. Vor die Wahl gestellt, wie sie schnell, effizient, zuverlässig und mit geringem Risiko von ihrer Wohnung zum Arzt gelangen können, können sie alle Alternativen einschätzen: per pedes, per Rad, per öffentlichem Nahverkehr, per Taxi oder per eigenem Auto.
Sie wissen zum Beispiel, dass die schnellste Option 25 Minuten benötigt, aber einige Voraussetzungen gegeben sein müssen, damit dies tatsächlich zu schaffen ist. Sie wissen, dass es ihnen zu bestimmten Zeiten nichts nützt, per eigenem Auto anzureisen und dass es dann egal ist, ob sie sich in einem Polo oder einem Tesla Model S in den Verkehr stürzen. Sie wissen auch, dass es neben der reinen Zeit auch um Nebenkosten geht (Benzin, Parkplatz, Verschleiss). Sie legen sicher Wert auf stressfreies Reisen und die Vermeidung von Risiken: einerseits Unfälle, andererseits Wolkenbruch und Hagel beim Unterwegssein mit dem Rad. Und last but not least werden sie berücksichtigen, in welcher Verfassung sie selbst sind, bevor sie sich auf ein Verkehrsmittel festlegen.
Und was hat diese Geschichte mit dem Investieren in ETFs zu tun?
Vereinfacht gesagt: wenn sie sich hauptsächlich mit den Produktdetails auseinandersetzen und diese zu anderen Möglichkeiten vergleichen, dann studieren sie Karten, Pläne und Preise. Wenn sie eine möglichst hohe Rendite nach Kosten im Vergleich zu Alternativen ins Zentrum ihrer Analysen rücken, dann jagen sie dem schnellsten, gleichzeitig billigsten Beförderungsmittel hinterher. Aber sind sie in der Verfassung, dieses Verkehrsmittel zu benutzen?
WISSEN KANN PRAXIS NICHT ERSETZEN
Viele Anleger, die sich sofort auf ETFs stürzen, steigen bildlich gesprochen in das autonom fahrende TESLA Model S ein und vertrauen darauf, dass es sie am schnellsten, billigsten und bequemsten an ihr Ziel bringen wird. Das wurde natürlich objektiv und wissenschaftlich gemessen, man hat sich dazu belesen, ja es mag unter gewissen Bedingungen tatsächlich zutreffen.
Aber einige praktische Fragen werden so vernachlässigt:
-
Wie die Straße beschaffen ist, welches Wetter zu erwarten ist: unbekannt.
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Erfahrungen mit Alternativen wie Fahrrad, Bus und Bahn, langsameren und selbst zu steuernden Autos und der Erwerb eines Führerscheins: unnötig, ja Zeitverschwendung.
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Gründe bedenken für teurere oder langsamere Alternativen: unwesentlich, wenig clever.
Ich bin dagegen der Meinung, dass man Erfahrungen zu diesen Punkten sammeln muss und diese Fragen nicht ausblenden darf. Das bedeutet für den Geldanleger: eine theoretische Grundausbildung und unbedingt auch praktische Erfahrungen mit Aktien, Anleihen und aktiven Investmentfonds sind nötig, um passive Investmentfonds (ETFs) richtig einschätzen und nutzen zu können.
Es ist ein weiter Weg vom theoretischen Verständnis zum praktischen Wissen, wie ein Produkt und wie man sich selbst verhält, wenn eine größere Summe investiert ist. Selbst wenn es gelingt, einigen psychologischen Fehlern und kognitiven Verzerrungen aus dem Weg zu gehen: sowohl die Randbedingungen als auch die Risikowahrnehmung ändern sich. Ein erfahrener Fahrer passt seine Fahrweise an - sowohl an das Auto, an die Wetter-Bedingungen als auch an den Verkehr. Dieses Wissen kann er aber niemals ausschließlich theoretisch erlernen!
Diese Investment-Lernkurve müssen Anfänger durchlaufen und je mehr sie sich mit den Produkten und Themen umfassend, theoretisch und praktisch beschäftigen, desto schneller kann es geschehen. Ich halte Indexfonds daher geeignet für diejenigen Anleger, die bereits Erfahrungen haben mit dem Börsenwetter, das heisst mindestens eine starke Hausse und Baisse erlebt haben. Ich erachte es als unbedingt nötig zu wissen und es erlebt zu haben, wie Aktienkurse unabhängig von der Entwicklung der ökonomischen Kennzahlen eines Unternehmens oder Landes zu Übertreibungen neigen - sowohl nach oben als auch nach unten - wie der Herdentrieb sich Bahn bricht. Ich bin davon überzeugt, dass man verstehen und begreifen muss, dass es unendlich schwieriger sein kann ein Wertpapier zu halten, dass einen Index "abbildet" also letztendlich eine Zahl oder einen Maßstab und abstrakt ist, statt die Aktie eines bekannten Unternehmens im Depot zu haben, dessen Produkte man kennt.
In diesem Sinne: auch das Investieren in ETFs aus richtigen, theoretischen Überlegungen heraus benötigt den Blick für die Randbedingungen und Erfahrungen mit Alternativen.
"Sehn und Erfahren ist so nötig als Lesen und Lernen."
(Schopenhauer)
Covacoro (c) 2016
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