Heute möchte ich das Buch "High returns from low risk" vorstellen, das vor kurzem im FinanzBuch Verlag erschienen ist.
Die Autoren sind Pim van Vliet und Jan de Koning. Pim van Vliet ist Gründer und Portfolio-Manager eines Investmentfonds bei Robeco, der global in Unternehmen nach der sogenannten "Low Volatility" Strategie investiert. Er ist zugleich Gastdozent an verschiedenen Universitäten und Verfasser einer Vielzahl finanzwissenschaftlicher Publikationen.
Sein Co-Autor ist ebenfalls bei Robeco tätig und bringt seine Erfahrungen ein, das Thema verständlich aufzubereiten. Denn er gibt zum Beispiel Seminare zur systematischen Auswahl von risikoarmen Aktien oder spricht auf Konferenzen zu normalen Anlegern und Beratern.
Herausgekommen ist ein flott lesbares Buch für Anleger, die ihr eigenes Aktienportfolio zusammenstellen wollen und einen systematischen Anlageprozess suchen. Dabei ist es in der Tat sehr gut gelungen, einen Kompromiss zwischen allgemeiner Erörterung und Überblick einerseits und ausreichender Detailtiefe bzw. Datenanalysen andererseits zu finden. Außerdem bleibt das Buch wohltuend bodenständig und realistisch. Dies äußert sich unter anderem darin, dass weder aktives noch passives Investieren in den Vordergrund gestellt werden, sondern es werden Vor- und Nachteile benannt. Auch will das Buch nicht die eine Strategie (Low Volatility) bzw. Marktanomalie vor alle anderen Strategien stellen, sondern strebt eine sinnvolle Synergie mit weiteren Faktoren wie zum Beispiel Value oder Momentum an. Für viele Anleger dürfte aber vor allem neu sein, dass man mit vermeintlich langweiligen, wenig riskanten Aktien auf lange Sicht sehr gute Ergebnisse erzielen kann und das Dogma mehr Rendite nur mit mehr Risiko zumindest einen Sternchentext verdient hat: wenn man es nicht besser weiß und umsetzt.
zUm INHALT
Dem Buch geht ein eindrucksvolles Kapitel mit positiven Testimonials voraus, so dass es sicher viele Leser finden wird, die von diesen Aussagen beeindruckt sind. Drei gekürzte Beispiele möchte ich ebenfalls anführen, aber auch darauf hinweisen: kritische Meinungen findet man hier natürlich nicht, sowohl aktive Investmentfonds als auch passive ETFs mit Schlagwörtern "low volatility" bzw. "smart beta" sind in Mode. Bilden Sie sich am besten Ihre eigene Meinung, in dem Sie das Buch lesen und die Ergebnisse dieser Produkte kritisch prüfen.
"Mehr Risiko bedeutet nicht unbedingt mehr Rendite.
Die Grundlage für nachhaltige langfristige Renditen von Anlageportfolios
liegt ganz im Gegenteil in solidem und proaktivem Risikomanagement."
Fiona Frick, Unigestion
"Pim van Vliet gelingt es durch seinen unterhaltsamen und teilweise
sogar amüsanten Stil, den Leser durch die verschiedenen Ebenen
des Low-Risk-Paradoxons zu führen."
Dr. Lars Edler, Sal. Oppenheim
"Der Low-Risk-Effekt - also das Phänomen, dass die Durchschnittsrendite
von Aktien entgegen vielen bekannten Theorien offenbar nicht positiv
mit den meisten Standard-Kennzahlen für Risiko zusammenhängt -
ist eine der wichtigsten Anomalien der modernen Finanztheorie."
Clifford S. Asness, AQR Capital Management
Bevor ich einige wesentliche Aussagen des Buches im nächsten Abschnitt vorstelle, an dieser Stelle noch ein Blick auf den Inhalt aus der Vogelperspektive. 18 Kapitel strukturieren das Buch, die Titel sind dabei keinesfalls finanzchinesisch:
Stimmen zum Buch / Vorwort zur deutschen Übersetzung / Einleitung
Kapitel 1: Das Gegenteil von dem, was man anstrebt
Kapitel 2: Herr Sparsam geht an die Börse
Kapitel 3: Die Schildkröte schlägt den Hasen
Kapitel 4: Ein kleines bisschen ist genug
Kapitel 5: Das achte Weltwunder
Kapitel 6: Alles ist eine Frage der Perspektive
Kapitel 7: Die verführerische Seite von Risiko
Kapitel 8: Billig kaufen und der Trend ist dein Freund
Kapitel 9: Aller guten Dinge sind drei
Kapitel 10: Schildkröten und Hasen erkennen
Kapitel 11: Alles in feine Scheiben schneiden
Kapitel 12: Zurücklehnen und entspannen
Kapitel 13: Handle wenig, sei geduldig
Kapitel 14: Der größte Sieg von allen
Kapitel 15: Die goldene Regel
Kapitel 16: Das Paradox ist überall
Kapitel 17: Wird das Paradox bestehen bleiben?
Kapitel 18: Abschließende Überlegungen
Epilog: Die Sicht von Jan de Koning
Anhang / Danksagungen / Literaturverzeichnis
Der rote Faden ist der Werdegang von Pim van Fliet: vom Teenager mit Interesse an der Börse über den jungen Akademiker mit theoretischem Rüstzeug zum ambitionierten Fondsmanager bei einer großen holländischen Fondsanlagegesellschaft (Robeco). Dass er auf diesem Weg das Paradoxon der überdurchschnittlichen Wertentwicklung risikoarmer Aktien entdeckt, untersucht, anwendet, modifiziert und verstehen lernt, ist die eine Seite der Medaille.
Die wichtige, zweite Seite der Medaille spricht das Buch aber ebenfalls an: wie man ein besserer Anleger und Mensch werden kann, wenn man über den Tellerrand blickt und sich den Zweifeln und Fragen stellt, warum es diese Paradoxien am Finanzmarkt gibt und wie man sinnvoller, ethischer und rationaler handeln kann. Daher hat das Buch durchaus einen philosophischen Aspekt!
EUREKA - ODER KONFUZIUS hatte DOCH RECHT
Zuviel von etwas bringt oft mehr Schaden als Nutzen und wer gegen den Strom schwimmt gelangt schneller zur Quelle, wer diese konfuzianischen Weisheiten beherzigt und verstanden hat, wird sie auch auf das Investieren anwenden.
Pim van Vliet zeigt in den ersten Kapiteln, wie er durch Analyse des amerikanischen Marktes seit 1929 auf ein Paradoxon stößt: Wählt man systematisch die 100 Aktien aus, die eine niedrige Volatilität der Schlusskurse zeigen und stellt daraus ein Portfolio zusammen, das man einmal pro Quartal überprüft und anpasst, so erzielt man signifikant höhere Renditen als das Vergleichsportfolio mit Aktien hoher Volatilität. Dabei findet man in vielen Lehrbüchern das entgegengesetzte Dogma, nämlich dass höhere Renditen nur mit höherem Risiko möglich sind und als Maßzahl für Risiko wird selbstredend die Schwankungsbreite der Renditen (Volatilität) verwendet.
Dringt man tiefer in die Daten und das Phänomen ein, stellt man fest, dass es nicht um eine Schwarz-Weiß-Aussage gehen kann, sondern das Graustufen vorliegen:
- In der Renditebetrachtung kommt es darauf an, eine langfristige Sichtweise zu benutzen und die aufgezinsten (geometrischen) Renditen zu betrachten, anstatt die einfachen (Durchschnitts-)
Renditen zu verwenden oder in (kurzen) Perioden zu denken.
- Das Low-Risk Portfolio schlägt das High-Risk Portfolio immer. Allerdings gibt es Portfolien, die mit etwas mehr Risiko tatsächlich eine etwas höhere Rendite erzielen.
Im Koordinatensystem Rendite ("compounded return") vs. Risiko ("volatility") ergibt sich eine rechtsschiefe Parabel.
- Der Effekt ist nicht auf den amerikanischen Aktienmarkt beschränkt, sondern findet sich ebenfalls in Europa, Japan und den Emerging Markets. Außerdem ist er auf vielen anderen Märkten (Anleihen, Rohstoffe, Private Equity) beobachtbar.
- Ob man den Effekt wahrnimmt, ist eine Frage der Perspektive, insbesondere ob man eine absolute oder relative Risikoeinstellung besitzt.
Die Sichtweise vieler privater und institutioneller Investoren ist eine relative: es kommt darauf an, eine Benchmark (einen Index) outzuperformen bzw. nicht schlechter abzuschneiden. Der Verlust von Kapital (absolutes Risiko) ist tolerabel, solange man nicht stärker als der Markt verliert. Steigt der Markt in einer Hausse an, will man mindestens diese Marktrendite erzielen und sich nicht mit weniger zufrieden geben. Das Endergebnis der Strategie nach 20 oder 30 Jahren ist sekundär gegenüber den Ergebnissen in den einzelnen Perioden (meist sind das Kalenderjahre).
Risikoarme Aktien mit niedriger Volatilität auszuwählen geschieht aber genau vor diesem Hintergrund - dem Fokus auf das Endergebnis. Denn es ist ein Charakteristikum dieser Werte, dass sie in Baisse-Phasen weniger verlieren und in Hausse-Phasen weniger stark steigen.
Die Autoren empfehlen den Ansatz um zwei Zutaten zu ergänzen: Income und Momentum. Income steht für Einnahmen und die Bedeutung von Dividenden für die Gesamtrendite (siehe dazu auch die Studien von Dimson et al, The triumph of the optimists). Eine hohe Dividenden-Rendite kann ein Indikator für eine Value-Aktie sein. Momentum steht für den Kurstrend und die relative Stärke von Aktien gegenüber dem Markt. Beide Faktoren sind in Kombination eine Möglichkeit, die Niedrigrisiko-Strategie zu verbessern.
Heraus kommt in Summe eine Strategie, die genau das Gegenteil von dem tut, was die Herde bevorzugt: Investition in langweilige, konservative Aktien, die weniger stark als der Markt schwanken, eine attraktive Dividendenrendite und einen langweiligen positiven Kurstrend aufweisen. Während "low volatility" Aktien die "high volatility" Aktien bereits outperformen (für den Zeitraum 1929 bis 2015 in USA mit 10.2 Prozent p.a. zu 6.4 Proznet p.a.), wie die erste untenstehende Grafik illustriert, erreichen diese konservativen Aktien sogar Renditen von 15 Prozent pro Jahr. Besonders eindrücklich ist die Outperformance natürlich, wenn man diese konservativen Aktien gegen das Pendant - die riskanten Aktien - vergleicht (siehe zweite Grafi), aber auch gegenüber der Benchmark liegt man mit ihnen deutlich vorn (4 Prozent p.a.).
Im zweiten Teil des Buches beschäftigt sich der Autor damit, warum es diese Anomalie gibt, worauf ihr gutes Abschneiden beruht, warum sie bestehen bleiben wird und wie man diese Erkenntnisse für sich selbst umsetzen kann. Dazu ist auch ein Do-it-yourself Investor mit Hilfe von Stock Screenern in der Lage, wenn er erstens das Paradox sehen und verstehen kann, zweitens in der Lage ist, es zu nutzen und schließlich drittens bereit ist, auf seiner Grundlage mit dem nötigen Durchhaltevermögen zu investieren.
Die Regeln, denen man sich unterwerfen muss, sind anspruchsvoll:
- Quantitative, regelbasierte Entscheidungen statt Emotionen und Aufregung:
finde die "Schildkröten"- und meide die "Hasen"-Aktien - Vergleiche dich nicht mit anderen und mit Indizes.
- Handle wenig, vermeide Transaktionskosten.
- Sei geduldig und langfristig orientiert, suche die goldene Mitte in allem, was du tust.
- Bleibe der Strategie treu, sowohl in der Baisse, wo du weniger verlieren solltest,
als auch in der Hausse, wo du weniger gewinnen wirst.
Falls Ihnen das zuviel Aufwand ist oder Sie sich aus psychologischen Gründen dagegen entscheiden, könnten Sie natürlich auch ein entsprechendes Finanzprodukt wählen. Im Buch werden dafür Beispiele genannt, wobei man beachten sollte, dass das Thema seit ca. 2010 ohnehin mehr Gewicht bei institutionellen Anlegern bekam und viele Produkte erst dann aufgelegt wurden.
Die Umsetzung der Idee "low volatility" oder "smart beta" ist dabei höchst verschieden und ebenfalls unterschiedlich transparent. Aktive Investmentfonds geben naturgemäß nur in groben Zügen die Strategie und Kriterien des Anlageprozesses preis. ETFs hingegen sind hier transparenter, die Konstruktion des modifizierten Index wird erläutert, was man als Vor- oder Nachteil sehen kann.
Bevor ich daher zum Fazit komme, möchte ich zwei Charts liefern, denn grau ist alle Theorie. Erstens den Vergleich von zwei aktiven Investmentfonds, die beide dem Minimum Volatility bzw. Minimum Variance Ansatz folgen, weltweit anlegen und den MSCI World als Benchmark haben: den Robeco Conservative Equities (WKN A1JRX5) und den Uni-Global Equities World (WKN A0M94E). Das Chart zeigt die letzten 5 Jahre und damit nahezu den maximal möglichen Zeitraum.
Für die Fans der passiven Indexfonds-basierten Anlage das zweite Chart, welches den S&P500 als US-Standardindex vergleicht gegen den ETF S&P 500 Low Volatility (WKN: A1J3PA) bzw. den ETF MSCI Minimum Volatility USA (WKN A1WZAZ). Da einer der ETFs erst im Oktober 2012 aufgelegt wurde, ist der Zeitraum etwas mehr als 4 Jahre.
Schon mit geringfügig anderen Einstellungen, wo die Charts beginnen und enden, können sie vollkommen andere Ergebnisse erzielen. Zeigen die Charts einen klaren Gewinner? Ich denke nein. Daher sollten Sie jetzt keine voreiligen Schlüsse ziehen, sondern vielleicht zunächst das Buch lesen und dann darüber nachdenken, ob konservative Aktien oder derartige Fonds einen Platz in Ihrer Strategie finden können. Denn langweiliges Investieren muss auch zu Ihnen passen.
FAZIT
Es gibt Bücher, die kann man in drei Sätzen zusammenfassen und abhaken. Und es gibt Bücher, wo einem das einfach nicht gelingen will, weil sie so viele Gedankengänge anstossen, zahlreiche Fragen aufwerfen und man ob der Komplexität des Themas einfach verzweifeln will.
Genauso ist es mir beim Lesen von "High returns from low risk" und dem Schreiben dieser Rezension gegangen. Nachdem ich das Buch zum zweiten Mal durchgekaut habe, denke ich, das ist im eigentlichen Sinne ein Kompliment.
Und mir ist bewußt, dass meine Zusammenfassung sehr subjektiv ist, vielleicht der eine oder andere wesentliche Gedanke nicht erwähnt wird und man hier und da noch kritischer mit den Aussagen umgehen sollte.
Aber, worauf es ankommt: Das Buch ist wertvoll und lesenswert. Nicht vordergründig wegen der Konzepte für die Aktienanlage, die es beschreibt, sondern vor allem, weil diese Konzepte und Einstellungen im privaten und beruflichen Leben genauso gültig sind, wie am Aktienmarkt.
Finden Sie die goldene Mitte !
(c) Covacoro, 2017
Früher erschienene Buch-Rezensionen auf Covacoro.de finden Sie auf meiner Webseite hier.
Dort finden Sie unter anderen die Rezensionen von Rainer Zitelmanns Buch "Reich werden und bleiben" sowie Liaquat Ahameds Buch "Die Herren des Geldes" - beide, sehr lesenswerte Bücher, wurden in 2017 neu aufgelegt.
Sollten Sie sich für eines der Bücher interessieren, so ist der Kauf bei Amazon über die folgenden Links für Sie nicht teurer, ich erhalte allerdings eine kleine Werbe-Vergütung, wenn Sie diese nutzen. Vielen Dank für die Unterstützung des Blogs.
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Covacoro (Sonntag, 30 Juli 2017 19:41)
Zum Buch gibt es eine eigene Internetseite, die die URL https://www.paradoxinvesting.com/ hat und man kann dort das Datenset von 1929-2016 herunterladen, das den Low Volatility Effekt zeigt. Außerdem werden die zahlreichen Rezensionen aufgelistet und auch Covacoro ist dabei: https://www.paradoxinvesting.com/2017/02/05/german-book-review-by-covacoro/.