Es gibt viele Ansätze und Strategien an den Kapitalmärkten und so verwundert es nicht, wenn sich mancher Novize schwer damit tut, für sich selbst eine Auswahl zu treffen.
Es werden fleißig Artikel und Bücher gelesen, Vor- und Nachteile abgewogen und die Selbstoptimierung treibt fröhliche Blüten. Das ist allemal besser, als rein aus dem Bauch heraus zu agieren.
Aber trotzdem nagt oft der Zweifel weiter, ob die gewählte (natürlich beste) Strategie zu einem selbst passt und wie die Sache ausgehen wird. Erfahrungen sammeln, Fehler machen, Lehrgeld bezahlen - das will man möglichst vermeiden. "Schließlich geht es um mein Geld und da hört der Spaß auf!"
Was antworte ich also auf die gut gemeinte Frage, ob das Investieren in Aktien mit einer Prise Value, Contrarian und Small Cap für X geeignet sein könnte? Wie ich das einschätze? Ob es den Aufwand lohnen würde?
DER MENSCH IST EIN GEWOHNhEITSTIER
Meine Antwort sind zunächst drei Gegenfragen, denn der Mensch ist ein Gewohnheitstier.
- Was ist dein liebstes Hobby und wie lange und intensiv betreibst Du es?
- Welches Auto fährst Du und warum?
- Wenn Du wählen könntest: würdest Du Deine Wohnung / Haus mieten oder kaufen?
Sinn und Zweck ist natürlich, dass der Fragensteller über sich selbst nachdenkt und reflektiert, denn das ist an dieser Stelle unbedingt nötig. Die Antworten auf die obigen Fragen haben vordergründig nichts mit der Börse zu tun oder mit einer bestimmten Strategie. Ehrlich beantwortet offenbaren sie aber, wie man "tickt" und ich bin der festen Überzeugung, dass man an der Börse nicht einfach den Hebel umlegen kann und plötzlich der vollkommen rationale Anleger ist. Nein, ich würde sogar sagen, die Börse verstärkt vorhandene Anlagen und Charakterzüge.
Man kann sich selbstverständlich sehr viel Theorie und Rüstzeug aneignen und so ein Portfolio nach bestem Wissensstand konstruieren, besparen und verwalten. Die Nagelprobe für den langfristigen Erfolg sind aber nicht die ruhigen und sonnigen Börsenphasen, sondern das Verhalten, wenn es stürmischer wird oder sogar die Kurse auf breiter Front crashen. Dann brechen oft alte Verhaltensweisen und Emotionen durch, eben wie man "tickt". Daher zurück zu den eingangs aufgeworfenen drei Fragen und was uns die Antworten verraten könnten.
PUZZLESTEIN 1
Die erste Frage "Was ist dein liebstes Hobby und wie lange und intensiv betreibst Du es?" beschäftigt sich mit wesentlichen Zutaten: Motivation, Durchhaltevermögen, Lernbereitschaft.
Wenn man bereit ist, in ein Hobby Zeit zu investieren - ohne finanzielle Vergütung - und über längere Zeit am Ball bleibt, kann das ein Hinweis sein, dass die "Do-it-Yourself" Methode bei der Geldanlage funktionieren kann.
Durchhaltevermögen wird man auf jeden Fall benötigen, egal ob man sich für einen aktiven oder passiven Anlagestil entscheidet. Denn man sollte nicht meinen, dass an der Börse ständig das gleiche Lied gespielt wird und Wissen nicht veraltet. Wenn man also ein Hobby hat - egal welcher Art - wo man eine gewisse Meisterschaft erlangt hat, ständig Zeit aufbringt, dazulernt und sich selbst motiviert immer weiter zu machen, ist das sehr gut.
Natürlich ist der zeitliche Aufwand für einen Anleger in Einzelaktien am höchsten: Quartals- und Geschäftsjahresberichte sowie die Entwicklung des Unternehmens und der Branche sollte man verfolgen. Daher muß man auch ehrlich einschätzen, woher die Zeit kommen soll, die dafür nötig ist. Wie oft habe ich in meinem Umfeld schon den Satz vernommen: "Damit will ich mich auch mal wieder beschäftigen" und geworden ist daraus nichts.
Außerdem sollte jeder Privatanleger sich fragen, wieviel Entscheidungskraft und -kapazität er tatsächlich aufbringen kann. Selbst wenn da am Abend oder Wochenende noch Zeit wäre und die Wichtigkeit des Themas erkannt ist. Jeder Mensch hat ein begrenztes Reservoir an Entscheidungskraft und wird dieses beispielsweise im Job belastet und ausgeschöpft, müssen wir zunächst regenerieren und es werden gar keine oder eben schlechtere Entscheidungen bei der eigenen Geldanlage die Folge sein.
Man beachte seine überwiegende Eigenschaft
und verwende auf diese allen Fleiß.
Baltasar Gracián y Morales
PUZZLESTEIN 2
Bei der Frage "Welches Auto fährst Du und warum?" haben sicher manche Leser geschmunzelt, schließlich ist die Liebe der Deutschen zu ihrem Gefährt sprichwörtlich. Ist das Auto hauptsächlich Fortbewegungsmittel, Lustobjekt, Statussymbol oder von allem etwas? Wie nimmt man sich selbst damit wahr und was denkt man über seine Außenwirkung?
Die Antworten darauf schlagen nämlich eine Brücke zur Geldanlage, mit der man sich nach innen und nach außen wohlfühlen sollte. Wer hauptsächlich den Kick und das Prestige sucht, für den sind langweilige Value-Aktien oder Small caps (Nebenwerte) von denen die meisten Leute noch nie etwas gehört haben nichts. Ein ETF auf den DAX ist vielleicht so sexy wie ein VW Passat (der Benziner). Wer sich überhaupt nicht darum schert, was andere Leute von seinem Gefährt denken, solange es ihn ans Ziel bringt, könnte auch stark genug sein, konträr zur Mehrheitsmeinung und dem Börsentrend Aktien zu kaufen.
Mit einer Strategie fokussiert auf Value-Aktien oder niedrige Volatilität kann man zu keiner Zeit prahlen: zwar verliert man hoffentlich in Baisse-Phasen weniger als der Markt, dafür steigt man in der Hausse aber ebenfalls weniger stark. Die meisten Value-Anleger erreichen langfristig gute Renditen, aber spektakulär sind sie nicht. Damit muss man klarkommen.
Wer sein Auto stets zwanghaft mit dem des Nachbarn vergleichen muss und dies beim Kauf berücksichtigt, wird in der Welt der Geldanlage vielleicht ständig die Rendite seines Depots gegen den Index und andere Anleger vergleichen. Keine guten Voraussetzungen für eine eigenständige und unabhängige Strategie.
Und last but not least: bitte zurückdenken, wieviel Zeit darauf verwendet wurde, das letzte Modell auszuwählen und mit den gewünschten Zusatzausstattungen zu versehen. War eine gute Lösung genug und auch in der Folge angenehm? Oder mußte man maximieren und optimieren, damit man zufrieden war? Wenn ersteres der Fall war: Glückwunsch, das vereinfacht auch die Wahl der Strategie bei der Geldanlage, denn man läuft nicht Gefahr unrealistisch hohe Ziele zu setzen und zuviele Randbedingungen aufzustellen.
Ein guter Rat in spaßiger Form ist oft
besser als ernste Belehrungen.
Baltasar Gracián y Morales
PUZZLESTEIN 3
Zunächst: Kompliment! Fast zwei A4 Seiten gelesen und noch immer neugierig.
Aber ernsthaft: nach Beantwortung der obigen zwei Fragen und etwas gemeinsamer Diskussion und Nachdenken entscheiden viele Anleger bereits völlig autonom und ohne lange zu überlegen: Investieren in Aktien mit einer Prise Value, Contrarian und Small Cap - das ist nichts für mich bzw. es gibt keine Anzeichen in meinem normalen Lebensumfeld, dass mir dieser Anlagestil zusagen wird.
Aber es gibt sie, die Nerds, die sich gerne durch Zahlen wühlen, mit Unternehmen und deren Geschäft beschäftigen und die sowohl Zeit als auch Entscheidungskraft mitbringen. Sie sammeln Erfahrungen, machen Fehler, bezahlen Lehrgeld. Aber stehen wieder auf und machen weiter und genau da kommt die dritte Frage ins Spiel: "Wenn Du wählen könntest: würdest Du Deine Wohnung / Haus mieten oder kaufen?"
Denn wir erinnern uns, die Frage lautete: "Kommt für mich Value-Investing in Frage?"
Und dahinter steckt am Ende immer die Frage, wie hoch der Preis einer Aktie im Vergleich zum Wert des Anteils am Unternehmen Y ist. Ein Value-Anleger will nur dann kaufen, wenn er eine Unterbewertung feststellt. Und da muss man rechnen und in Wahrscheinlichkeiten und Szenarien denken.
Beantwortet man obige Frage mit einem klaren Pro oder Contra Miete oder Kauf, hat man - vorsichtig ausgedrückt - eine sehr eindimensionale Sichtweise. Dann gilt als richtig, was im Durchschnitt richtig ist.
Als Geldanlage war der Kauf einer Immobilie in Deutschland in den vergangenen 20 Jahren etwa genauso oft "erfolgreich", wie es Einzelaktienanleger schaffen, den Index zu schlagen, könnte man provokativ formulieren. Gibt es Ausnahmen und Strategien, die einen Immobilien-Investor viel erfolgreicher machen als der Marktdurchschnitt? Selbstverständlich. Gibt es Grund zur Annahme, dass Value- und Small Cap-Strategien langfristig besser als der Durchschnitt abschneiden können? Selbstverständlich. In beiden Fällen gibt es aber keine Garantie.
Würde ein Value-Anleger, der in eine neue Stadt kommt, eine Wohnung kaufen egal wie hoch das aktuelle Preisniveau ist? Vermutlich nicht, denn sein Denkmodell an der Börse ist es ja, dass Preis und Wert voneinander verschieden sein können und daher würde er dieses vermutlich auf den Immobilienmarkt übertragen sowie mieten und abwarten. Aber und deshalb finde ich diese Frage so Klasse: wer in der Lage ist, differenziert zu antworten und zu bewerten, der trägt bereits ein Körnchen Weisheit in sich, um ein guter Value-Anleger zu werden!
Damit kommen wir zum Schluß. Lohnt sich der Aufwand? Ich denke ja.
Was die Rendite des eigenen Depots angeht, wissen wir es immer erst nach vielen Jahren und nach mindestens einem, besser zwei bis drei Börsenzyklen (also Hausse und Baisse).
Was den Wissenszuwachs angeht, verspüren viele Value-Anleger bereits nach zwei bis drei Jahren einen deutlichen Zugewinn - weil sie die erlernten Denkmodelle sinnvoll auch in anderen Lebensbereichen anwenden können und gelernt haben, bessere Entscheidungen zu treffen. Diese Rendite kann man ihnen nicht mehr nehmen.
(c) Covacoro, 2017
.
Ohne Mut ist das Wissen unfruchtbar.
Baltasar Gracián y Morales
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