Heute veröffentliche ich den zweiten Teil meiner Buchbesprechung zum 2016 erschienenen Titel "Die AT&S Story" von Gerald Reischl. Im ersten Teil, den man hier nachlesen kann, wurde die Entwicklung des Unternehmens bis zur Finanzkrise beschrieben, die insgesamt sehr erfolgreich verlaufen war.
Von 2005 bis 2008 können Jahr für Jahr neue Umsatz- und Gewinnrekorde erzielt werden. Auf dem Gebiet Handys und Digitalkameras erreicht man einen globalen Marktanteil von 14 Prozent. Auf europäischer Ebene sind es 14 bzw. 13 Prozent bei Leiterplatten für die Automobilindustrie bzw. Industriekunden, ein hoher Anteil in einem stark zersplitterten Markt. Der AT&S Konzern scheint bestens aufgestellt.
Mit der Finanzkrise Ende 2008 folgt dann aber eine Vollbremsung. Der Umsatz mit Leiterplatten bricht dramatisch ein: im Dezember beispielsweise um 35 Prozent. Hinzu kommt, dass die vorhandenen Geschäftsbereiche (Consumer, Automotive, Industrial) alle gleichzeitig betroffen sind und daher die Diversifizierung der Standorte auf verschiedene Branchen nichts nutzt.
AT&S reagiert mit einem Sparprogramm: in Österreich verlieren mehr als 600 Mitarbeiter ihre Jobs, die Massenfertigung von HDI-Leiterplatten wird komplett nach Asien verlagert und die Kapazitäten deutlich verkleinert. Ebenso werden angrenzende Dienstleistungen wie Bestückung, Test, teilweise Design-Services eingestellt. An den internationalen Standorten muss ebenfalls gespart werden: im südkoreanischen Werk treffen die Entlassungen ein Fünftel der Belegschaft. In Indien wird der Bau des zweiten Werkes abgebrochen und Investitionen bis auf weiteres gestoppt. Am Standort Shanghai in China, zwischenzeitlich zum größten HDI-Werk der Welt herangewachsen, wird reorganisiert und die mittlerweile drei Werke werden zusammengelegt, größere Entlassungen können aber vermieden werden.
Unter dem Strich bleiben in den Geschäftsjahren 2008/9 und 2009/10 trotzdem rote Zahlen. Das Minus belief sich auf 5,8 bzw. 37,6 Millionen Euro und fiel in Summe höher aus als der zuvor in 2007/8 erzielte Gewinn von 41,3 Millionen Euro. Wie sollte es bei AT&S weitergehen? Würde die "DNA des Erfolges" widerstandsfähig sein oder war das Unternehmen so stark geschwächt, dass es zurückfallen würde?
Die ZWEITE PIONIERZEIT
Gerald Reischl wählt für den siebten Teil des Buches den Titel "Die zweite Pionierzeit" und impliziert so bereits, dass es gelingt, auf den Erfolgspfad zurückzukehren. Ab 1.Februar 2010 übernimmt mit Andreas Gerstenmayer ein neuer CEO das Ruder. Das Buch berichtet, dass die Chemie zwischen zukünftigem Vorstand und jetzigem Aufsichtsrat von Anfang an stimmt, der Neue sei eben ein Techniker wie Willibald Dörflinger. Auch bei den Themen der Zukunft waren sie einer Meinung: Kundenorientierung, Technologie, Schließung der Wiener Zentrale und Ansiedlung in Leoben.
Gerstenmayer erkennt, dass AT&S über ein breites technologisches Portfolio, über eine funktionierende Forschung und Entwicklung sowie eine Vielzahl namhafter Kunden verfügt, worauf er aufbauen kann. Die Entscheidungen seiner Vorgänger, sich auf Miniaturisierung, anspruchsvolle HDI-Leiterplatten und internationale Expansion zu fokussieren, will er daher nicht revidieren, sondern weiterentwickeln. Neben Unimicron und Compeq ist AT&S bereits der drittgrößte Hersteller hinsichtlich Umsatz mit HDI-Leiterplatten. Gerstenmayer: "Erster müssen wir nicht unbedingt werden ... Wir wollen einerseits Technologieführer und andererseits am profitabelsten sein. Um diese Ziele zu erreichen, muss man nicht der Größte sein, sondern jene Marktsegmente sehen und erkennen, bei denen man gute Margen machen kann."
Und so folgt in Indien 2010 die Fertigstellung des aufgeschobenen zweiten Werkes und Shanghai erhält eine vierte Linie um den Boom bei Smartphones und Tablets in den Jahren 2010 bis 2012 zu bedienen. Bald stellt man sich aber die Frage, was das nächste "Big Thing" oder Produkt sein wird, dass technologisch die Trends bestimmen wird. Was kommt nach dem Smartphone? Wearables also zum Beispiel Smart Watches, Fitness-Tracker? 3D-Printing? Oder bleibt auch das eine Nische? Das AT&S Management trifft bereits Mitte 2013 eine mutige Entscheidung: Man wird ein neues Geschäftsgebiet aufbauen, um technologisch an der Spitze zu bleiben.
Mit den sogenannten IC-Substraten, die den Anschluss zwischen einem integrierten Schaltkreis (beispielsweise ein Mikroprozessor) und einer Leiterplatte herstellen und daher mit noch kleineren Strukturbreiten und engeren Toleranzen aufwendig gefertigt werden müssen, betritt man Neuland. Dazu muss man ein Werk in China errichten und eine neue Technologie meistern, die die Brücke zur Halbleitertechnologie darstellt. Intel - der größte Halbleiterhersteller der Welt - wird im Sommer 2013 per Kapitalerhöhung Anteilseigner bei der börsennotierten AT&S und Partner bei diesem Projekt. Nach Nokia, Motorola, RiM und Apple wieder ein namhafter Konzern als Partner - auch ein Zeichen, dass das kleine Unternehmen aus der Steiermark nicht vergessen hat, was es bisher erfolgreich gemacht hat.
An dieser Stelle möchte ich nun auch den Schwenk von einer Buchrezension hin zu einer Bewertung von AT&S und der Zukunft der Aktie aus meiner Sicht vollziehen.
Die wesentlichen drei Erfolgsfaktoren sind aus meiner Sicht:
- ein bedingungsloses Engagement für Qualität im Sinne der Kunden
- das frühzeitige Erkennen der Branchentrends und Investitionen in neue Technologien
- die Partnerschaft mit den jeweiligen Trendsettern auf Produktseite
Daraus ergibt sich unter Umständen ein Konflikt für ein börsennotiertes Unternehmen: Qualität kostet Geld. Frühzeitige Investitionen können, wenn sie zu früh getätigt werden, ebenfalls die Gewinne belasten. Ein partnerschaftliches Verhältnis wird langfristig erfolgreich sein, aber kurzfristig kann es bedeuten, auf Profite zu verzichten und zusätzliche Kosten in Kauf zu nehmen.
Wie würde man das größte Investitions-Projekt seit der Gründung der AT&S - die Errichtung und Inbetriebnahme des IC-Substrat-Werkes in Chongqing bewältigen? Würde die Vision, auf einen Umsatz größer 1 Mrd. Euro zu wachsen und mit den IC-Substraten gute Margen zu erzielen Wahrheit werden?
CHINA TEIL 2
Die Entscheidung für Chongqing folgt dem gleichen Muster wie diejenige für Shanghai und die Substrattechnologie bedeutet für AT&S einen Quantensprung aus technologischer Sicht. Das schlägt sich auch in den Dimensionen und Kosten der Anlage nieder: ein 130.000 Quadratmeter großes Grundstück, Investitionskosten von ca. 280 Millionen Euro und 1600 Mitarbeiter. In den Jahren 2014 und 2015 läuft es zunächst auch sehr gut für AT&S, da sich die Umsätze insgesamt nach oben entwickeln und durch den hohen freien Cash Flow können die Investitionen trotzdem gestemmt werden. Der Gewinn pro Aktie erreicht im Hoch 1,78 Euro und die Aktie, die zunächst unter Buchwert gehandelt wurde, legt um fast 60 Prozent im Kurs zu. Ich habe AT&S bereits 2014 in meinem Blog vorgestellt (Link) und seitdem war das Unternehmen auch regelmäßig Thema in meinen Wikifolio-Berichten (Beispiel).
In 2016 steht dann der Ramp des neuen Werkes an und dieser verläuft anfangs holprig und mit Problemen. Damit stehen den hohen Investitionen nur geringe Umsätze und Deckungsbeiträge gegenüber, so dass die EBIT-Marge des Konzerns leidet. Der Kurs der Aktie erreicht im Verlauf des Jahres 2015 ein Hoch, danach beginnt der Kapitalmarkt skeptisch zu werden, ob AT&S die versprochene Umsatzausweitung und Profitabilität tatsächlich erreichen wird. Die Quartalszahlen bleiben in der Folge hinter den Erwartungen zurück und es wird spekuliert, ob sogar eine Kapitalerhöhung zur Finanzierung von Chongqing nötig werden wird. Der Kurs sinkt von 16 bis auf unter 10 Euro ab und alle zwischenzeitlichen Gewinne sind ausradiert. Erst im Juni 2017 gelingt eine Trendwende und aktuell notiert der Kurs nahe 12 Euro.
Ich denke, dass es ein Fehler ist, AT&S ausschließlich auf die Probleme in Chongqing und die gedrückte Profitabilität der nächsten Quartale zu reduzieren. Sicher, diese Probleme müssen gelöst werden, aber der Schritt war strategisch auf jeden Fall richtig. Positive Entwicklung zeigen gleichzeitig die anderen Bereiche: Einerseits hat sich die HDI-Microvia-Technologie zur Herstellung von Leiterplatten weiterentwickelt und die Consumer-Electronics Kunden wurden und werden immer anspruchsvoller. Die sogenannte mSAP Technologie findet Einzug in die Top-Smartphones und wird bald zum Goldstandard. Nicht alle Leiterplattenhersteller können diesen Entwicklungen aber folgen. AT&S hat die neue Technologie bereits 2016 gemeistert und begonnen, Produktionslinien im Werk Shanghai darauf umzurüsten. Parallel erfolgte in Chongqing der Bau von 2 weiteren mSAP Linien, die laut Unternehmen im Juli 2017 in Produktion gingen. Damit ist man nun gut gerüstet, von mSAP zu profitieren.
Wenn Samsung jetzt berichtet, dass man ab dem Galaxy S9 in 2018 diese Technologie einsetzen wird, dann zeigt das einmal mehr, dass AT&S in der Leiterplatten-Branche technologisch führend ist. Wichtiger noch: da die Produktion bereits läuft, kann man eins und eins zusammenzählen und weiß, welcher Kunde diese Linien auslastet. Es ist Apple mit dem neuen iPhone 8, 8s und X. Der verlinkte Artikel spricht auch darüber, dass Samsung bisher PCBs von 10 Herstellern beziehen konnte, mit mSAP werden es vermutlich nur noch 4 Hersteller sein (einer davon eine Konzerntochter). Eine Konsolidierung der Anbieter sollte den Margen von AT&S zukünftig zugute kommen.
Andererseits hat man seitens AT&S die Anstrengungen für Kunden aus der Automobil-, Flugzeug- und Medizintechnik-Branche verstärkt, die aus den österreichischen Werken bedient werden. Im Geschäftsjahr 2016/17 wurden hier ca. 320 Millionen Euro umgesetzt. Man profitierte vom relativ stabilen, wenn auch langsamer wachsenden Geschäft und ist gut positioniert, zum Beispiel vom steigenden Elektronik-Anteil im Auto zu profitieren. (Der Bereich Mobil Devices und Substrates hatte einen Umsatz von über 486 Millionen Euro, er macht also ca. 60% aus.)
Damit kann man feststellen, dass diese beiden Bereiche gute Zukunftsaussichten aufweisen und profitabel sind. Sobald die Probleme im IC-Substratbereich gelöst sind, wird man auf deutlich höherem Umsatzniveau gute Margen einfahren. Gleichzeitig hätte das Management die Chance, den Cash Flow hauptsächlich in die Rückführung der aufgenommenen Kredite zu lenken, statt immer noch Dividende auszuzahlen. Das würde einen doppelten Hebel für die Aktionäre bedeuten, da sich so das Eigenkapital und Finanzergebnis verbessern.
ZUSAMMENFASSUNG UND FAZIT
Das Buch "Die AT&S Story" liefert Hintergrundwissen und Geschichten zum Unternehmen, zur Branche, zum Vorstand sowie zum Aufsichtsrat. Dem Autor Gerald Reischl ist es sehr gut gelungen, ein Panorama zu entwerfen, warum und weshalb man erfolgreich war, welche Faktoren die "DNA des Erfolgs" ausmachen und in welchem Spannungsfeld die nötigen, strategischen Entscheidungen getroffen werden mussten. Trotzdem ist dieser Blick hinter die Kulissen auch für technische Laien verständlich und gut lesbar.
Es wird deutlich, dass AT&S in seiner Historie oftmals mutige, riskante, aber auch durchdachte technologische Wetten eingegangen ist. Frühzeitig in Neues zu investieren, die teurere aber bessere technische Lösung und hohe Qualität zu bevorzugen, zeugt von einem gewissen Selbstvertrauen und technischen Verständnis seitens des Managements und der Mitarbeiter. Das ist offensichtlich in Branchen wie der Leiterplatten- oder Halbleiterherstellung ein großer Pluspunkt, wo die technologische Entwicklung besonders dynamisch verläuft und hohe Kapitalbeträge investiert werden müssen.
So ist der "kleine" Zulieferer mit Sitz in Leoben auch erfolgreich Kooperationen mit viel größeren Konzernen und Kunden eingegangen. Einige von Ihnen sind mittlerweile in ihrer Branche nicht mehr an der technologischen Spitze (Nokia, RiM, Motorola), während AT&S es zweifelsfrei noch ist. Die momentanen Probleme in der Profitabilität des IC-Substrat-Bereichs erscheinen mittelfristig lösbar und ich rechne damit, dass das Unternehmen im kommenden Geschäftsjahr wieder profitabel arbeiten wird. Daher erachte ich ein Kursniveau unter Buchwert als zu niedrig bzw. die Chancen überwiegen aus meiner Sicht die Risiken.
(c) 2017, Covacoro
Früher erschienene Buch-Rezensionen auf Covacoro.de finden Sie auf meiner Webseite hier.
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Prof (Sonntag, 17 September 2017 11:41)
Danke für diese ausführliche Zusammenfassung. Ich gewinne immer mehr die Erkenntnis, dass es sich um eine extrem zyklische Branche handelt. Das Unternehmen kann schnell extrem hohe Gewinne machen oder in die Pleite rutschen. Damit ist AT&S pleiteanfälliger als die meisten Unternehmen. Nicht gerade ein Kaufargument für mich.
Reblaus (Montag, 09 Oktober 2017 19:26)
Danke für die Buchbesprechung. Ich handle die Aktie häufig und schon viele, viele Jahre. Kenne auch das Buch und finde es punkto Verständnis der At&S Produkte sehr aufschlußreich und informativ. Schöner Blog btw :)
Covacoro (Mittwoch, 11 Oktober 2017 21:24)
Danke.
Ich bin auch jederzeit offen für Vorschläge zu interessanten Büchern oder Nebenwerten.