Wo steht die deutsche Finanzblogszene?

Transparenz über die Motive von Finanz- und Börsenblogs - eine Standortbestimmung

In den letzten zwei bis drei Jahren ist ein regelrechter Boom bei deutschsprachigen Blogs zu Finanzthemen zu beobachten. Ob Aktien, ETFs, Bitcoins, P2P-Kredite, Immobilien - zu jedem Thema findet man unzählige Webseiten, Blogs, Facebook-Gruppen und Youtube-Kanäle.

 

Allen gemeinsam: es war und ist scheinbar einfach, damit Geld zu verdienen.

 

Engagierte Autoren veröffentlichen und teilen ihre Erfahrungen, Meinungen, Kenntnisse und Glaubenssätze meist kostenfrei. Die Mittel und Wege dazu beherrschen die "Digital Natives". Oder diese Dinge wurden zuletzt so einfach bedienbar, das auch ältere Semester den Sprung zur eigenen Webseite gewagt haben. :-)

 

Heraus kommt ein bunter Mix an mehr oder minder hochwertigen Informationen, der aus verschiedensten Motiven und Interessen heraus publiziert wird: um in Austausch zu treten, um Finanzwissen weiterzugeben oder um selbst ein besserer Investor zu werden. Oder auch: um eine Marke aufzubauen und Produkte zu verkaufen.

 

Es gibt mittlerweile reichweitenstarke Blogs und Youtube-Kanäle, die sich zu Verkaufs- und Marketingplattformen wandeln bzw. weiterentwickeln: Google-Werbung, Affiliate-Programme, Sponsoring, kostenpflichtige Bücher oder Seminare sind Beispiele für genutzte Instrumente und erwerbbare Produkte. Und es gibt Leser und Kunden, die gerne bereit sind, für den gebotenen Nutzen und das Produkt zu zahlen. Das ist vollkommen in Ordnung. Und es gibt Leser und Konsumenten, die nicht wissen, dass sie etwas zahlen, weil sie denken, im Internet ist immer alles kostenlos. Diese sollten sich besser informieren!

 

Dieser Status ist aber manchem Leser und Blogger bereits ein Dorn im Auge. So gab es beispielsweise im März 2017 einen Aufruf von Stefan Meisel zu mehr Transparenz unter Finanzbloggern und im August eine Blogparade Wir machen uns alle nackig. Kern beider Aktionen war, eine gewisse Transparenz und einen Nachweis von Können von den Bloggern einzufordern, getreu dem Motto: "Wer bist Du denn, dass Du mir hier etwas über Finanzen erzählen willst?"

 

So berechtigt das Ansinnen ist, die abgefragten Punkte und Kriterien griffen zu kurz: Sparquoten, Portfolio-Zusammensetzung oder erzielte Renditen. Das ist nicht viel besser und wenig nützlicher als eine Fonds-Rangliste in der Stiftung Finanztest, oder ein Track-Record eines Fondsmanagers oder ein Nachweis getätigter Aktieninvestitionen von einem Bankkaufmann zu erfragen. Gute Beratung und wirklich nützliche Ratschläge sind soviel mehr! (Siehe auch den Artikel: Schaue bewußt über den Tellerrand.)

 

Aus meiner Sicht sind es doch die folgenden Kernfragen, die man stellen muss:

  1. Wo steht die deutsche Finanzblogszene im Jahr 2017 und wie grenzt sie sich (noch) von den klassischen Medien und Produktanbietern ab?
  2. Wie transparent ist sie, im Sinne von: Wo gibt es Interessenkonflikte und wie geht man damit um?
  3. Wo könnte sich die Finanzblogszene hinentwickeln und was wäre wünschenswert?

Diesen Fragen nachzugehen, ihnen mehr Raum auf der eigenen Seite einzuräumen und sie offen zu diskutieren, dazu lade ich alle Leser und Finanzblogger ein. Meine Meinung werde ich durch eine kleine Artikelserie hier auf www.covacoro.de kundtun.

 

Ziel könnte es sein, dass am Ende der Diskussion eine Checkliste oder ein Kodex entsteht, welche Angaben wir unseren Lesern bereitstellen sollten, getrennt für kommerzielle und nichtkommerzielle Finanzblogs.

 

Da ich seit 2015 blogge, bin ich gewissermaßen gerade erst über das Rookie-Stadium hinaus, andererseits habe ich die Entwicklung der letzten 3 Jahre dadurch besonders aufmerksam verfolgt. Ich bin mir sicher, dass viele Finanzblogger, obwohl oder gerade weil sie in das Thema Quereinsteiger sind, nützliches Wissen mit ihren Lesern teilen und damit helfen, Probleme und Fehler auf den Gebieten Vermögensbildung und Geldanlage anzugehen. Allerdings bin ich mir unsicher, ob Leser und Konsumenten wirklich willens sind, hinter die Kulissen zu sehen und ihr Verhalten zu hinterfragen. Diese Skepsis ist auch einer der Gründe, weshalb mein Blog nichtkommerziell bleiben wird.

 

An den Finanzmärkten bin ich dagegen deutlich länger unterwegs (siehe meine Seite Über mich) und die Entwicklung des World Wide Web seit 1995 verlief nahezu parallel zu meinen Entwicklungsschritten an der Börse. Ohne eine gewisse, kritische Grundhaltung und ein Hinterfragen von angebotenen Informationen und beworbenen Produkten wäre ich jetzt entweder pleite oder hätte soviel Lehrgeld gezahlt, dass ich möglicherweise der Börse den Rücken kehren müßte.

 

Aber ich bin mir auch sicher, dass die Zunahme der Internetaktivitäten und Finanzblogs im deutschsprachigen Raum kein Zufall ist. Ist es nur Anzeichen für eine Krise der etablierten Institutionen und des Vertrauens in sie? Oder bilden sich gerade Blasen an den Märkten wie 2000, wenn Geld verdienen mit Aktien, ETF, Bitcoins etc. zum Kinderspiel wird? Oder bekommt Finanzwissen für immer mehr Menschen einen höheren Stellenwert und das Do-it-yourself Prinzip ist grundsätzlich eine gute Sache? Aber das sind ja bereits Fragen für weitere Artikel ...

 

Daher zurück zum Thema. Ich hoffe, die drei oben genannten Kernfragen werden durch zahlreiche Leser und Blogger aufgegriffen, kommentiert und diskutiert. Falls nicht, könnte ich damit auch leben. Das würde nur zeigen, dass Blogger auch in einer gewissen Blase leben und den Lesern diese Fragen nicht so wichtig sind, wie sie momentan manchem erscheinen.

 

Aber unabhängig davon: Es wäre ein coole Sache, wenn wir solch einen Kodex auf die Beine stellen könnten, egal wieviele Blogbetreiber dann letztendlich mitmachen! Die Banken und Finanzdienstleister haben für etwas Ähnliches mehrere Jahrzehnte benötigt und das heutige Kleingedruckte ist trotzdem nicht gerade klares Deutsch und besonders gelungen. Kann die Finanzblogszene es besser?

 

(c) 2017, Covacoro

 


 

„The investor’s chief problem

– and even his worst enemy –

is likely to be himself.“

 

Benjamin Graham

 


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Kommentare: 7
  • #1

    Prof (Mittwoch, 04 Oktober 2017 13:57)

    Ja die Blogs schießen wie zur Zeit die Pilze aus dem Boden. Und die Frage ist, wie viele Blogs braucht die Welt? Die Betreiber opfern eine Menge Zeit und Kommentare finde ich selbst bei guten Blogs meist wenige. Bei vielen dürfte es wie ein Tagebuch sein. Dessen Nutzen besteht wohl hauptsächlich in der Selbstreflektion.

    Warum betreibt man einen Blog, welchen Mehrwert hat der Blogbetreiber für seinen Aufwand?
    Entweder um sein Wissen zu teilen und neue Erkenntnisse durch das Feedback zu bekommen. Das Feedback muss dann aber erst einmal kommen.
    Oder um sein Produkt (Wikifolio, Zeitschrift, Werbung) mehr oder weniger agressiv zu vermarkten. Natürlich sind die Grenzen zwischen Entweder | Oder mitunter fließend.

    Ein Ehrenkodex dürfte nicht durchführbar sein und eine Vermarktung eines Wikifolios läuft vielleicht über qualifizierte Beiträge bei Wallstreet-Online besser. Hier wird ja ein Link zum Wikifolio eingeblendet und hier hat man auf jeden Fall eine große Gemeinde. Allerdings benötigt man hier ein dickes Fell und muss die Kindergartenposter im Benutzerprofil sperren.

    Du gehörst zu 100% zur Fraktion der Blogbetreiber, die das Teilen von Wissen in den Vordergrund stellen. Dabei wünsche ich Dir viel Erfolg!

  • #2

    Covacoro (Mittwoch, 04 Oktober 2017 20:31)

    Danke Prof für deinen Kommentar und dass Du regelmäßig vorbeischaust!

    Den Nutzen von Selbstreflexion und etwas Aufzuschreiben und Auszuformulieren entdeckt man übrigens erst, wenn man es tatsächlich ausprobiert. Das muss nicht im Internet sein, geht auch als klassisches Tagebuch und fällt je nach Situation gar nicht leicht, sondern ist verdammt schwer.

    Aber alte Artikel aus dem Archiv ausgraben und erneut lesen, ist immer wieder spannend.

  • #3

    Covacoro (Donnerstag, 05 Oktober 2017 21:03)

    Ein lesenswerter Beitrag, welchen ich unbedingt verlinken möchte
    http://fyoumoney.de/der-nackte-wahnsinn/

  • #4

    Nico (Donnerstag, 05 Oktober 2017 22:14)

    Moin Prof,
    „Warum betreibt man einen Blog, welchen Mehrwert hat der Blogbetreiber für seinen Aufwand?“

    Gute Frage. Stelle ich mir auch oft genug :)

    Fakt ist, der Kram ist wirklich zeitintensiv. Deutlich zeitintensiver, als man es sich ursprünglich vorgestellt hat. Neben Familie (mit Kindern), Job und Freunden bleibt eigentlich kaum Zeit für so ein Hobby. Und die Leserzahlen sind gnadenlos. Wenn Du nichts veröffentlichst, gehen sie zurück. Und das nervt. Also bleibt man zwangsläufig am Ball, wahrscheinlich bis man sich irgendwann genau Deine Frage stellt und hinschmeißt. So geht es vielen Blogs, die nach dem ersten Jahr wieder verschwinden.

    Mich motivieren tatsächlich die Kommentare unter den Beiträgen und die Real-Life Treffen mit Lesern und anderen Bloggern. Das ist schon eine feine Sache und bringt mich persönlich wirklich weiter. Die Leserzahlen auf Finanzglück sind überschaulich, aber die Kommentare stark. Wenn das nicht so wäre, hätte ich wohl schon aufgehört. Ich kann wirklich nur an alle Leser appellieren auf den diversen Blogs zu kommentieren, wenn ihr über einen guten Artikel stolpert.

    Hans-Jürgen, bezüglich Deiner drei Fragen kann ich nur sagen, dass es eigentlich kein Problem ist zu werben, solange es gekennzeichnet ist. Das passt auch so in den meisten Fällen. Ich habe bisher mit Finanzglück noch keinen einzigen Euro verdient, würde es aber für die Zukunft nicht ausschließen wollen. Wenn der Aufwand für einen Blogbetreiber finanziell irgendwo entlohnt wird, ist daran nichts auszusetzen. Es sollte nur dem Leser aufgezeigt werden.

    Ich muss manchmal schmunzeln, wenn ich von Agenturen (fast täglich) Anfragen bekomme, Links zu platzieren oder irgendeine andere Art von Werbung zu schalten und dann wenig später ein Interview oder Artikel dazu auf anderen Blogs lese (ungekennzeichnet). Ich glaube aber, die Leser checken das recht schnell.

    Brauchen wir einen Kodex? Ich glaube nicht. Guter Content wird sich schon von alleine durchsetzen. Wenn ein Blog wenig Mehrwert bietet und eher Richtung Werbeplattform mutiert, dann können die Leser selber den Daumen senken. Ich selber lese dann dort einfach nicht mehr. Das passt.

    Just my two cents…

    Alles Gute, Nico

  • #5

    Thomas Senf (Sonntag, 08 Oktober 2017 23:20)

    Interessante Fragen, die du aufwirfst. Habe selbst vor kurzem einen Finanzblog gestartet. Meine Motivation: Ich finde es einfach faszinierend und wollte es mal probieren. Auch ein Grund: Mein Blog dient mir zur Selbstkontrolle und diszipliniert mich. Er hilft mir bessere Investitionsentscheidungen zu treffen.

    Grundsätzlich denke ich, dass insbesondere das Thema Finanzielle Freiheit sehr gehypt wird. Die nächste Finanzkrise wird dann auch zum Härtetest für die Finanzblogszene. Viele junge Blogger kennen ja zum Teil nur steigende Kurse. Da ist es leicht sich als Finanzexperte zu profilieren.

    Einen Ehrenkodex halte ich für nicht umsetzbar. Auch wenn der Grundgedanke gut ist.

    Beste Grüße
    Thomas Senf

  • #6

    Stefan Waldhauser (Dienstag, 10 Oktober 2017 13:44)

    Ich weiss nicht, ob ich Deinen Beitrag richtig verstehe ehrlich gesagt:

    "Allen gemeinsam: es war und ist scheinbar einfach, damit Geld zu verdienen."

    Ist das ironisch gemeint? Ich denke es ist sogar verdammt schwer und vor allem zeitaufwendig, mit einem Blog, Youtube-Kanal, Podcast o.ä. wirkliches Geld zu verdienen. Ich denke, dass dies gerade den Finanzbloggern zumeist auch klar ist, die haben i.d.R. eine andere Motivation.

    Ich selbst habe ja auch vor gerade mal 3 Monaten mit meinem Blog begonnen. Wenn ich
    Geld verdienen wollte, dann würde ich sicherlich etwas anderes machen und die Emails der Headhunter beantworten, die mich gerne wieder in der Softwareindustrie sähen.
    In meinem allerersten Blogpost habe ich zu Beginn die 5 Gründe aufgeschrieben, die mich zum Start eines Blogs über High-Tech-Aktien bewogen haben: https://www.high-tech-investing.de/single-post/2017/07/05/5-Gr%25C3%25BCnde-f%25C3%25BCr-den-Start-dieses-High-Tech-Investing-Blogs

    4 dieser 5 Gründe sind ganz klar nicht-kommerziell. Einer der dort genannten Gründe ist jedoch tatsächlich auch, dass ich denjenigen Lesern, die keine Zeit oder Lust haben, selbst in High-Tech zu investieren, durch meine Aktivitäten auf Wikifolio und INVESTORY beim Investieren helfen kann. Leser können also ihr Geld mit mir gemeinsam anlegen. In diesem Fall bekomme ich dann ja tatsächlich Geld von diesen Asset-Management-Plattformen.

    Aber ist mein Blog deshalb kommerziell? Ich denke eher nicht, weil ja die Wissensvermittlung im Vordergrund steht und die meisten Leser ja nicht wg. des Wikifolios den Blog lesen. Das ist doch mit Dir und Deinem eigenen Wikifolio ganz ähnlich denke ich...

    Eine Kategorisierung in 2 Schubladen kommerziell/nicht kommerziell wird also nicht möglich sein befürchte ich. Was ich mir aber für einen solchen Kodex tatsächlich vorstellen könnte ist, dass ein Blogger z.B. im Impressum transparent macht, welche Einnahmenquellen er direkt oder indirekt hat aus seinem Blog.

    Ich bin sehr auf Deine Artikelserie zum Thema gespannt, offenbar hast Du Dir da schon viel mehr Gedanken gemacht als ich. Denn m.E. weiss i.d.R. ein Blogger nicht wohin seine Reise geht und was sich vielleicht mal entwickelt aus seinem Blog. Ich halte es da mit John Lennon: "Life is what happens while you're making other plans..."

    VG stw

  • #7

    Covacoro (Mittwoch, 11 Oktober 2017 19:05)

    An alle Kommentatoren: danke für Eure Gedanken, ich stimme Ihnen weitestgehend zu.
    Das ich übrigens erst jetzt antworte und sie freigeschaltet habe, lag einfach daran, dass bei Jimdo die Email-Benachrichtigung zu neuen Kommentaren ausgefallen war und ich mich offline mit einem Kontakt getroffen habe, der hier regelmäßig mitliest und ebenfalls kommentiert :-)

    Ich habe zwischenzeitlich auch per Email Feedback von anderen Bloggern erhalten, die sagen, dass sowohl Impressum als auch Transparenz/Datenschutz-Seiten eigentlich gar nicht von den Lesern angeklickt werden. Man könnte vereinfachend sagen: wenige Leser kommentieren, noch viel weniger interessieren sich für Transparenz-Fragen. Das gibt mir schon zu denken, insofern schießt der Kodex über das Ziel hinaus und ist am Bedarf vorbei.

    Aber: ich habe bereits viele gute Gedanken gelesen, die ich gerne in einem zweiten Artikel nochmal aufgreifen und zusammenfassen will.