im Wohlfahrtsstaat - so lautet der Titel eines ungewöhnlichen Buches, welches ich heute vorstellen will.
Auf knapp 230 Seiten nimmt der Autor, Georg Möller, kein Blatt vor den Mund. Er spricht aus, was kritische Zeitgenossen fühlen, vermuten oder bereits wissen: Wir sind mittendrin in der größten Schuldenblase aller Zeiten. Wir leben permanent über unsere Verhältnisse. Wir steuern auf einen Umbruch und Neustart unserer Gesellschaft zu!
Möller ist kein studierter Ökonom oder Volkswirtschaftler. Aber er ist belesen, kennt die Geschichte, kann querdenken und eins und eins zusammenzählen.
Seine Situationsanalyse ist detailliert und logisch nachvollziehbar. Trotzdem gelingt es, sie auf nur 40 Seiten zu verdichten. Daran scheitern viele Ökonomen, Politiker oder Autoren!
Aber Möller geht einen Schritt weiter: Er stellt und beantwortet die Frage, was er selbst tun würde, wie man "das Beste draus machen" kann. So wird das Buch zu einem Ratgeber.
In der Einleitung lesen wir: "Ratgeber schreiben, Menschen sagen, was sie denken, tun und lassen könnten; diese Besserwisserei riecht anmaßend. Ein Autor sollte die Finger davon lassen, wenn er gelesen werden will. Warum schreibe ich trotzdem dieses Buch?"
Und Möller antwortet: aus Verantwortung gegenüber der jungen Generation, sich selbst und seiner Familie. Man muss den Tatsachen ins Auge sehen, statt sie zu verdrängen und über Lösungen nachdenken, statt den Kopf in den Sand zu stecken.
"Vielleicht helfen Ihnen meine Gedanken, aus eigener Kraft ein unangefochtenes Leben zu führen." Dem füge ich hinzu: Hoffentlich findet das Buch zahlreiche Leser, die dadurch beginnen, kritischer nachzufragen und nachzudenken! Eben weil die Situation komplex und das Thema schwierig sind, kommen Möllers prägnanter Text und seine Kernaussagen zur rechten Zeit, auch wenn ich nicht in jeder Schlussfolgerung und jedem Detail zustimme.
Davon abgesehen: Ich habe die ersten beiden Teile ohne Abzusetzen in einem Rutsch gelesen. Der Text ist aus einem Guss, verständlich, prägnant, gut zu erfassen. Es macht tatsächlich Spass, den Gedankengängen des Autors zu folgen! Aber hier greife ich meinem Fazit ja schon vor. Vielleicht sollte ich wenigstens noch ein paar Details zum Inhalt liefern, oder ist ihre Neugier ohnehin geweckt?
IN MEDIAS RES
Wie sie dem ersten Abschnitt meiner Buchvorstellung bereits entnehmen können:
Das Buch kommt zum Punkt, es geht sofort in medias res - mitten in die Dinge.
Nach einer kurzen Einleitung startet Teil I: Der Umbruch und Möller schildert, wie er die momentane Situation bewertet. Dazu nutzt er drei Stilmittel: Anekdoten, Zitate sowie Beispiele. Die drei Unterkapitel haben klingende und, wie ich finde, mitteilsame Titel:
- Was lang schwelt, wird langsam Glut
- Herr Holle und des Kanzlers neue Kleider
- Euphorisches Siechtum, Crash oder Chaos?
Dabei geht es einerseits darum, die Situation im Land zu verstehen. Die Kernthese lautet, dass steigende Schuldenlast und rückläufige Bevölkerungszahl unweigerlich dazu führen, dass der deutsche Wohlfahrtsstaat an seine Grenzen gelangt. Deshalb sei es um so wichtiger, zwischen realen und fiktiven Werten zu unterscheiden und abstraktem Gerede konkrete, fassbare Maßstäbe entgegen zu setzen.
Möller misstraut dem Wachstumswahn, dem Irrsinn Export-Weltmeister zu sein und bezeichnet die Jahre, in denen es den Meisten noch gut geht, als "euphorisches Siechtum". Wachsende Schuldenberge und immer mehr vorgezogener Konsum kennzeichnen diese Phase. "Im Jahr 2007 schütteln viele Deutsche den Kopf über die 'dummen' Amerikaner, denn in der Immobilienblase kauft selbst der Busfahrer das Haus für 500.000 Dollar - ohne Eigenkapital. 2015 machen die 'schlauen' Deutschen den gleichen Blödsinn, weil die Zinsen niedrig sind."
Daher sei es nicht verwunderlich, dass die Schere zwischen Arm und Reich weiter auseinandergeht, denn Schuldnern stehen immer Gläubiger gegenüber. Niemand kann aber vorhersagen, wann sich die Spannung im System entladen wird und wie es genau von statten gehen wird. Vermutet man, dass sich Geschichte zwar nicht wiederholt, aber reimt, sind die Optionen zahlreich: Währungsreform, Schuldenschnitt, Hyperinflation, Staatspleite ...
Es liegt dem Autor fern, einfach den Teufel an die Wand zu malen und den Leser zu verängstigen oder zu demotivieren. Daher beschäftigt sich Teil II - Die Ent-Täuschung auch zuerst damit, wie man unangenehmen Wahrheiten begegnen, wie man sie verarbeiten kann.
In den Überschriften mischt sich nun feine Ironie mit dem Blick nach vorn:
- Am Ende sind alle nackt
- Tretmühlen ade
- Das Neue gebären
Im Kapitel Tretmühlen ade beispielsweise geht es um die alten Paradigmen und Hamsterräder, die momentan noch schöngeredet werden, deren Zeit aber gekommen ist. Möller diskutiert die fragwürdigen Entwicklungen der Gegenwart auf vielen Gebieten: Angefangen von Wachstum, Konsum, Produktivität über Information, Geschwindigkeit, Effizienz bis hin zu Geld, Karriere und Vielfalt. Sein Zauberwort heißt Verzicht und ganz im Sinne von "Die Ökonomie von Gut und Böse" (Tomas Sedlacek) setzt er also am Punkt an, was denn wirklich wichtig und wertvoll ist. Damit gelingt der Übergang zu Teil III nahtlos.
Teil III - Der Umgang mit sich selbst ist Möller ein zentrales Anliegen und er steht daher nicht zufällig im Zentrum des Buches. Egal ob es um das Thema Gesundheit geht (Unterkapitel: Den Leibwächter wecken) oder um die Themen Simplifizierung und Ballast loswerden (Unterkapitel: Fesseln abwerfen, Reisebedarf ermitteln), die Ausführungen sind ausführlich und radikal. Hier muss sich jeder an die eigene Nase fassen, ob er die Ansichten und Ratschläge des Autors bejahen, ignorieren oder verneinen will.
Seine Vorschläge zielen auf Eigenständigkeit und Unabhängigkeit, was im übrigen auch für alle finanziellen Fragen gilt, die man schnellstmöglich in die eigenen Hände nehmen muss. Das bedeutet Arbeit, und gegen den Strom zu schwimmen war noch nie einfach.
Im letzten Teil IV - Der Umgang mit anderen wird in drei Kapiteln behandelt, wie zuverlässige Partnerschaften entstehen, wie man seiner Arbeit einen Sinn geben kann und was man tun sollte, um eine erneute Täuschung zu vermeiden.
- Auferstehung eines alten Modells - die Familie
- Jenseits der Gängelbänder
- Klarheit im Kopf
Auch lesenswert, diskussionswürdig und in manchen Punkten sicher nicht das, was der Leser erwartete, als er das Buch zur Hand genommen hat. Aber es sollte längst klar sein, dass Möller nicht den Konsens sucht, sondern den grauen Zellen einen kräftigen Stoss versetzt, damit sie beginnen nachzudenken.
FAZIT
Ein mutiges Buch mit einer starken, prägnanten Sprache. Im Eigenverlag herausgebracht und stilistisch eine fantastisch anmutende Mischung aus Georg Büchner, Ken Follett und Daniel Stelter. Spitzt der Autor die Lage zu sehr zu? Gibt er zu einfache Antworten auf komplexe Fragen? Taugen seine Ratschläge am Ende nichts? Vielleicht. Lesen sie das Buch, sonst werden Sie es nie erfahren und bilden Sie sich Ihre eigene Meinung!
Und wenn ich einen Wunsch freihätte, dann würde ich mir ein Streitgespräch wünschen, Teilnehmer die Autoren Georg Möller, Daniel Stelter (Eiszeit in der Weltwirtschaft habe ich
hier vorgestellt) und Rainer Zitelmann (dessen letztes Buch Wenn Du nicht mehr brennst, starte
neu! bespreche ich demnächst hier).
(c) 2017 Covacoro
Sollten Sie sich für das Buch interessieren, so ist der Kauf bei Amazon über den folgenden Link für Sie nicht teurer, ich erhalte allerdings eine kleine Werbe-Vergütung. Vielen Dank, dass Sie damit diesen Blog unterstützen.
Kommentar schreiben
Prof (Montag, 23 Oktober 2017 17:30)
Hallo Covacoro,
wo ist denn nun der "folgende Link"?
Das Buch klingt nach einer gelungenen Kombination von wirtschaftlichen Zusammenhängen und daraus folgenden persönlichen Schlussfolgerungen. Diese werden nicht nur im Zusammenhalt des Kapitals nach dem Motto "Sachwerte kaufen" sondern im Erringen einer positiven Lebensatmosphäre gesucht. Schwerpunkte dürften da wohl Gesundheit, Familie und soziales Umfeld sowie berufliche Weiterbildung sein.
Covacoro (Dienstag, 31 Oktober 2017 16:57)
Der folgende Link ist das Bild bzw. die Verlinkung des Buches auf Amazon, Prof.