Heute möchte ich ein Buch rezensieren, das auf der Shortlist zum Wirtschaftsbuchpreis 2017 steht.
Alles auf Anfang - Warum der Euro scheitert und wie ein Neustart gelingt - wurde von drei jungen Autoren geschrieben: Nicolaus Heinen, Jan Mallien und Florian Toncar.
Wie der Untertitel bereits verkündet, geht das Buch über die übliche Kritik am Währungssystem Euro hinaus. Die Autoren sehen die Chance, nach einem möglichen Scheitern einen neuen Euro zu schaffen, der die bisherigen Konstruktionsfehler überwindet.
Diese konkreten Vorschläge machen das Buch lesenswert. Es ist damit eine Ergänzung und Weiterführung der hier bereits besprochenen Bücher Eiszeit in der Weltwirtschaft sowie Rauben und Spielen im Wohlfahrtsstaat.
ÜBERBLICK
Wäre der Euro so sorgfältig konstruiert worden, wie der Buchstabe auf dem Cover, gäbe es dieses Buch nicht. Er war ein politisch gewolltes Konstrukt, das in einer Schönwetterperiode ersonnen und ausgestaltet wurde. Die Wirklichkeit einer Staatengemeinschaft mit sehr unterschiedlichen Nationen und Ökonomien hat ihn längst eingeholt. Wie lange wird das noch gut gehen? Wie lange noch kann die EZB den Euro stützen und schützen?
Diese Fragen stellen sich spätestens seit 2011, als der Euro in seine erste ernsthafte Krise rutschte und nur durch ein Machtwort des EZB-Chefs Mario Draghi im Juli 2012 stabilisiert werden konnte. Die Autoren sind überzeugt, dass der Euro in seiner jetzigen Form als gemeinsame Währung Europas nicht überleben wird. Sie begründen aber auch, warum die Rückkehr zu nationalen Währungen ein schlechter Ausweg wäre.
Die Meinungen zur Eurokrise gehen inzwischen weit auseinander. Da sind die Gleichgültigen, die die Dauerkrise anödet. Dann gibt es Optimisten, die hoffen, dass die Institutionen Europas und die Politik stark genug sein werden, die Krise zu meistern. Und es gibt die Empörten, die die Missstände kennen und benennen. Mitunter vereinfachen sie allerdings und verneinen konstruktive Argumente für einen Ausweg. Die Autoren schließen die Aufzählung mit den Ängstlichen, die die Erkenntnis prinzipiell teilen, sich aber nicht trauen, sie auszusprechen.
Das Buch Alles auf Anfang schreiben sie, um den Euro von einer Glaubensfrage wieder zu einer nüchternen ökonomischen Frage zu machen. Nur das vermeidet Polarisierung. Ihre Analyse und die abgeleiteten Vorschläge sollen weder durch Tabus begrenzt werden, noch durch das Argument, der Euro sei alternativlos. Es geht um einen neuen Anlauf für die europäische Währungsunion in 8 Kapiteln.
Das Buch im Überblick:
- Der Tag der Entscheidung
- Kapitel 1 Der Euro: ein Drama in fünf Akten
- Erster Akt: Hoffnung. Ein Jahrhundertprojekt für Europa
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Zweiter Akt: Steigerung. Euroland auf Erfolgskurs
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Dritter Akt: Schicksalswende. Finanzkrise, Wirtschaftskrise, Eurokrise
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Vierter Akt: Verzögerung. Die EZB wird zum Euroretter
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Fünfter Akt: Katastrophe? Die Uhr tickt
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Kapitel 2 Euroland am seidenen Faden
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Riskanter Balanceakt
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Die EZB interpretiert bestehende Instrumente neu
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Nationale Alleingänge untergraben die geldpolitische Autorität der EZB
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Die Folge: Risse im wirtschaftlichen Fundament Europas
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Totgesagte leben länger – die Planwirtschaft kehrt zurück
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Langfristige Folgen
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Kapitel 3 Vertrauenskrise und Zäsur
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Die Lücke im System
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Die Folge: Die EZB ist zunehmend überlastet
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Autoritätsverlust und Vertrauenskrise
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Ruhe vor dem Sturm
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Endspiel, Kontrollverlust, Zäsur
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Neuanfang – aber wie?
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Kapitel 4 Die zweite Chance
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Nationale Währungen: zu schwach für die Globalisierung
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Transferunion und Zentralstaat: trügerische Sicherheit durch gemeinsame Haftung
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Alternative Geldordnungen: Luftschlösser für Europa
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Die Währungsunion muss krisenfest werden
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Wege aus der Vertrauenskrise
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Drei Bausteine für eine zweite Chance
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Kapitel 5 EZB entpolitisieren und transparenter machen
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Ursachen des Vertrauensverlusts
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Augenwischereien und Sackgassen
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Die EZB entlasten und umbauen
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Erster Schritt: Zurück zu den Kernaufgaben
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Zweiter Schritt: Geldpolitik entpolitisieren
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Dritter Schritt: Rechenschaft verbessern
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Vierter Schritt: Transparenz erhöhen
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Kapitel 6 Zurück zur Haftung
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Falsche Hoffnungen
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Klare Haftungsregeln begrenzen übermäßige Neuverschuldung
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Vertrauen entsteht durch aktive Insolvenzvorsorge
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Stufe eins: übermäßige Neuverschuldung präventiv verhindern
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Stufe zwei: freiwillige Selbstkontrollen stärken Investorenvertrauen
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Stufe drei: Kontrollierte Umschuldung im Insolvenzfall
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Perspektive: Solidität und Vertrauen
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Kapitel 7 Höhere Finanzstabilität durch bessere Bankenregulierung
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Das Schicksal von Banken und Staaten ist verkettet
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Die Bankenunion bleibt unvollendet
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Mehr Marktwirtschaft: Staatsbanken sind nicht klüger
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Banken und Staaten entflechten
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Robuste und abwicklungsfähige Banken
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Banken müssen besser beaufsichtigt werden
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Wettbewerb und Stabilität ergänzen sich
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Kapitel 8 Alles auf Anfang
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Gegen Zentralismus um jeden Preis
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Für Vielfalt und Verantwortung
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Blick nach vorne
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Krisenfest – nicht krisenfrei
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Anmerkungen
EINE ZWEITE CHANCE
Ich möchte in meiner Rezension nicht auf die Kapitel 1 und 2 eingehen, die den bisherigen Verlauf der Geschichte zusammenfassen und darstellen, wie der Euro in die Krise und die EZB in die Rolle des Retters geraten ist. Ebenfalls verzichten möchte ich auf Details zu Kapitel 3, das darlegt, warum das Scheitern der Währungsunion in der jetzigen Form unvermeidlich erscheint.
Starten möchte ich meine Zusammenfassung einiger Kerngedanken mit Kapitel 4. Es trägt den Titel "Die zweite Chance" und die Autoren beschäftigen sich darin zunächst mit drei alternativen Denkschulen, wie der Krise beizukommen sein könnte. Die erste Richtung fordert eine Rückkehr zu nationalen Währungen, damit vor allem die schwachen Südländer ihre Währung nach Belieben abwerten können, um wettbewerbsfähig zu werden.
Auf den ersten Blick einleuchtend, sind die Schwächen dieser Lösung nach Meinung der Autoren nicht zu übersehen: neben den hohen wirtschaftlichen Kosten einer Aufsplittung, würden die hoch verschuldeten Länder mit untragbar hohen Schulden in Euro zurückbleiben. Ihre kleinen Währungsräume würden in globalem Maßstab bedeutungslos sein, was letztendlich bedeutet, dass sie früher oder später ihre Wechselkurse an eine stärkere Leitwährung anbinden müssten. Das Vertrauen in diese Weichwährungen wäre sowohl international als auch in den jeweiligen Ländern selbst gering, so dass Kapitalflucht drohen könnte. Kurzum: nationale Währungen in Kleinstaaterei sind zu schwach für die globale Welt und nur ein Rückschritt um 30 Jahre.
Eine weitere Denkschule sieht die Lösung in einer Transferunion mit gemeinsamer Haftung aller Länder, beispielsweise durch Eurobonds. Die Befürworter blenden dabei aus, dass die wichtigsten wirtschafts- und finanzpolitischen Entscheidungen auf nationaler Ebene verblieben. Es ist aber fragwürdig, wenn solche autonomen Entscheidungen zu gemeinsamen Konsequenzen über Ländergrenzen hinweg führen. Schuldenländer hätten keine Strafen und keine Insolvenz zu befürchten. Sie könnten letztendlich auf Kosten anderer Länder agieren. Nach Meinung der Autoren geriete der Euroraum dann in eine Abwärtsspirale aus weicher Währung, anziehender Inflation und steigenden Schulden. Ein Zentralstaat, der in ganz Europa eine einheitliche Wirtschafts- und Finanzpolitik durchsetzt, wäre Vorbedingung, ist aber unrealistisch und nicht durchsetzbar.
Die dritte Strömung sucht die Lösung für die Eurozone in alternativen Geldordnungen - also weder im Schritt zurück noch im Sprung nach vorn. Diskutiert werden vor allem verschiedene Varianten von sogenanntem Vollgeld. Im Kern wird dabei das Geld verstaatlicht und die Geldmenge ausschließlich durch die Zentralbank gesteuert. Eine Geld-Schöpfung über Kredite bzw. Giralgeld durch Banken findet in diesen Systemen nicht mehr statt. Auch diese Lösung stünde vor großen Herausforderungen: Wie soll beispielsweise eine Umstellung vom heutigen Buchgeld zum zukünftigen Vollgeld stattfinden? Wie die momentane, erhöhte Geldmenge und die globalen Finanzströme koordinieren, ohne dass die Finanzmärkte in Mitleidenschaft gezogen werden? Und wie die enorme Machtbündelung einer solchen Zentralbank kontrollieren? Wie vermeiden, dass sie unter politische Kontrolle gerät?
Optimisten glauben, dass eine vierte Macht im Staate - die Zentralbank - möglich ist. Pessimisten wenden ein, dass die Geschichte bereits viele Beispiele bereithält, wo Zentral-banken dazu dienten, Staaten zu finanzieren, Wahlkämpfe und Kriege zu gewinnen und Konjunkturstrohfeuer anzufachen. Aber eben nicht in erster Linie dazu, eine stabile Währung zu gewährleisten, wie das sogenannte Vollgeld verspricht.
Das Fazit der Autoren fällt daher eindeutig aus: Die drei Denkschulen sind bedenkenswert, ihre Lösungsvorschläge aber greifen zu kurz und sind nicht praktikabel. Für den Euro besteht der richtige Weg viel mehr darin, sich jetzt der prinzipiellen Frage zu stellen, was die Vertrauenskrise ausgelöst hat und diese Ursachen anzugehen und abzustellen. Dann wäre man vorbereitet, wenn die nächste Krise heraufzieht, um nachhaltig zu agieren. Mit den dafür nötigen drei Bausteinen beschäftigen sich die Kapitel 5, 6 und 7.
BAUSTEINE FÜR EINEN NEUEN EURO
Die drei Vorschäge für ein besseres Währungssystem zielen sämtlich darauf ab, die EZB zu entlasten und die Politik in die Pflicht zu nehmen, Fehler und Versäumnisse zu korrigieren. Im Einzelnen fordern die Autoren:
- eine transparente und entpolitisierte EZB, die sich auf die Kernaufgabe Geldpolitik konzentriert;
- klare Haftungsregeln, die eine Erpressbarkeit der EZB verhindern, sowie ein Verbot der Staatsfinanzierung, geordnete Umschuldungen und Staatsinsolvenzen;
- die Kontrolle systemischer Risiken im Finanzsystem, Finanzmarkt- und Bankenregulierung.
Neues Vertrauen in die europäische Währungsunion ist dabei kein Selbstzweck: bessere Transparenz und das Haftungsprinzip sollen zu echten Reformen führen, da es sich nicht mehr lohnt, auf Zeit zu spielen.
Die Autoren belegen glaubhaft, dass die EZB der entscheidende Akteur in der Eurokrise und derzeit eindeutig zu mächtig ist. Sie wurde zum Spielball nationaler Interessen und mußte dafür sorgen, dass die Südländer nicht Pleite gingen. Da sie kaum rechenschaftspflichtig ist und zu intransparent, gibt es mittlerweile einen Vertrauensverlust in die Fähigkeit der EZB, die Krise zu meistern.
Während viele Bücher an diesem Punkt stehenbleiben, machen die Autoren im Folgenden Vorschläge, wie ein konstruktiver Umbau und Reformen aussehen könnten. Sie plädieren gegen mehr nationale Stimmengewichtung im EZB-Rat oder eine Aufweichung der Inflationsziele und stattdessen für eine Entlastung und Professionaliserung der EZB.
Der erste Schritt dazu wäre eine Rückbesinnung auf die Kernaufgabe Geldpolitik. Dies bedeutet vor allem, dass die Bankenaufsicht nicht unter dem Dach der EZB verbleiben kann, da Interessenkonflikte so unvermeidlich sind. Der zweite und aus meiner Sicht wichtigste Schritt wäre eine Verkleinerung und Professionalisierung des EZB-Rats.
Bisher werden hier vor allem nationale Belange berücksichtigt und die Rotation des EZB-Vorsitzes bringt das deutlich zum Ausdruck. Außerdem werden für die Posten vor allem Politiker berufen. Die EZB sollte aber keine politische Institution sein und stets nach Konsensentscheidungen suchen, dem Gruppendenken und nationalen Eigenheiten Rechnung tragen. Der kleinste gemeinsame Nenner ist viel zu oft ein fauler Kompromiss, eine Lösung auf Zeit. Dem kann man nur begegnen, wenn man auch Personen aus Wirtschaft und Wissenschaft bei der EZB in wichtige Entscheidungen und Gremien einbezieht.
Die Autoren plädieren daher für einen EZB-Rat aus nur noch 9 Mitgliedern, der zudem ähnlich wie bei der Bank of England mindestens 4 externe Mitglieder haben sollte. Das wäre eine deutliche Verkleinerung vom derzeitigen Status quo: 25 Mitglieder. Das ist deutlich überdimensioniert und die Verantwortungen sind diffus. Durch Beschränkung der jeweiligen Amtszeiten und nur noch 5 Direktoriumsmitgliedern aus den Reihen der EZB, würde der EZB-Rat schlagkräftiger und der Weg zu Entscheidungen verkürzt. Mit weniger Ratsmitgliedern würde sich automatisch eine Abkehr vom Prinzip des nationalen Gruppendenken ergeben und die 4 externen Mitglieder könnten dafür sorgen, dass Wissenschaft und Wirtschaft Gehör finden und Fehlentwicklungen rechtzeitig bemerkt werden.
Um die Rechenschaft und Transparenz zu verbessern, machen die Autoren ebenfalls konkrete Vorschläge. Zum Beispiel wie die Kontrollgremien für die EZB aussehen könnten, die sich historisch an anderer Stelle bewährt haben. Oder wie das Europa-Parlament stärker in die Pflicht genommen und einbezogen werden könnte und wie und wo Abstimmungsverhalten offengelegt werden muß. Last but not least sollte auch die EZB mit Insiderinformationen besser umgehen und die Kommunikation mit der breiten Öffentlichkeit verbessern. All diese Maßnahmen mit dem Ziel, das Vertrauen von Politik, Wirtschaft und Bürgern in die Institution selbst zu verbessern und wiederherzustellen.
STÜTZBALKEN FÜR DEN SCHADENSFALL
Im Kapitel 6 und 7 beschäftigen sich die Autoren mit den Fragen, wie mit Staatsschulden und Haftung einerseits und mit der Regulierung des Bankensystems andererseits zukünftig umgegangen werden sollte. Eine verbesserte Institution EZB wäre nämlich nur ein Baustein, den Euro krisenfest zu machen. Man muss sich auch mit dem Schadensfall und der Verletzung der Regeln auseinandersetzen.
Die EZB war bei ihrer Gründung zunächst als unabhängige Zentralbank gestartet. Im Zuge der Griechenland- und Eurokrise sah sie sich aber gezwungen, die eigenen Regeln zu brechen und der Politik zu Hilfe zu eilen: Ohne ihr Eingreifen wären der Markt für Euroland-Staatsanleihen und danach die Währungsunion möglicherweise zusammengebrochen.
Doch die Rettung mittels Rettungsschirm, kostenloser Liquiditätsversorgung und ESM hatte einen hohen Preis, griff doch die EZB nicht nur Banken, sondern auch den Euro-Mitglieds-staaten direkt unter die Arme, ohne dass es klare Haftungsregeln gab. Damit betrieb sie letztendlich eine Art Staatsfinanzierung.
Daher ist es wichtig, dass zukünftig klare Haftungsregeln und ein Staatsinsolvenz-Regime etabliert werden. Diese müssen auf nationaler Ebene verankert werden und international gelten, denn ein einzelner zentraler "Euro-Mechanismus" funktioniert wahrscheinlich nicht. Aus Sicht der Autoren würde mehr Zentralismus eher kontraproduktiv wirken. Er potenziert Fehlentscheidungen, weil er fern der lokalen Gegebenheiten agiert und Entscheidungen trifft. Er provoziert Widerstand und er befeuert Verteilungskämpfe, statt zu mehr Vertrauen in Europa und dessen Institutionen zu führen. Wirtschaftliche Entscheidungen, und dazu gehört die Haushaltspolitik der Staaten, müssen vor Ort fallen und vor Ort verantwortet werden.
Die momentanen Niedrigzinsen werden Europas Schuldenproblem indes nicht lösen, sie sind nur kurzfristig von Vorteil. Sie fördern weiteres Schuldenmachen und erhöhen somit die Risiken im Finanzsystem, anstatt Anreiz für Reformen zu bieten. Sobald eine Zinswende wegen Inflationsgefahren und aus Gründen der Geldwertstabilität unvermeidlich wird, werden die Anpassungen vermutlich umso schmerzhafter.
Auch an diesem Punkt schlagen die Autoren drei konkrete Massnahmen vor, wie übermäßiges Schuldenmachen durch bestimmte Euroländer zukünftig begrenzt und vermieden werden kann. Ihr Ansatz ist dabei der, beide Seiten der Medaille zu betrachten: Schuldner, die zu viel Geld ausgeben, bedürfen auch Gläubiger, die trotzdem weiter Kredit gewähren. Staaten kann man nicht zwingen, ihre Ausgaben zu begrenzen. Aber Geldgebern kann man Grenzen setzen, die ihre Bereitschaft, Staaten zu finanzieren, einschränkt.
Der wichtigste Schritt zu besserer Risikovorsorge ist daher, Staatsanleihen als Anlageklasse nicht länger zu privilegieren und stattdessen für Investoren riskanter zu machen. Als zweites Element müßte es europaweit einheitlich ausgestaltete und besicherte Anleihen geben, die im Insolvenzfall geordnet abgewickelt würden. Diese Lösungen könnten immer noch Vorteile gegenüber privaten Schuldnern (wie Unternehmen, Banken etc.) aufweisen und so einen Zinsabschlag für höhere Sicherheit bzw. höhere Insolvenzquoten bedeuten. Last but not least sollten ebenfalls kontrollierte und vor allem schnelle Umschuldungsverfahren für Staaten etabliert werden, damit es keine langwierigen Konflikte und Rechtsstreitigkeiten bei Insolvenzen gäbe. Dieses Maßnahmepaket würde in Summe dazu führen, dass europäische Staatsanleihen weiter eine wichtige Rolle an den Finanzmärkten spielen könnten.
Präventiv könnte man dann noch weiter gehen und übermäßige Neuverschuldung unattraktiver machen: die Unterlegung von Staatsanleihen mit Eigenkapital, die Festlegung einer Kredit-Obergrenze für die EZB gegenüber Staaten sowie der Einbau einer Schuldenbremse in Staatsanleihen werden im Buch als Ideen genannt und begründet.
Nach Meinung der Autoren könnten alle skizzierten Maßnahmen die Verschuldung der Euroländer bereits deutlich abbremsen. Zusätzlich könnte jedes Land selbst entscheiden, wie es durch zusätzliche Maßnahmen seine Kreditwürdigkeit positiv beeinflußt. Dazu bedarf es gar keiner Sparvorgaben oder dem Eingreifen der EU oder EZB. Es wäre zum Beispiel möglich, freiwillige Stresstests für Staaten und die Begutachtung von Staatshaushalten anzubieten.
Noch einen Schritt weiter geht der Vorschlag, eine neue Anlageklasse zu schaffen: die sogenannten Transparenz-Anleihen. Sie wären eine Art Gütesiegel für Staaten, die Transparenz über ihre öffentlichen Finanzen herstellen einschließlich langfristiger Prognosen. Damit würden sich Regierungen erstmals verpflichten, vollständig ihre Bücher zu öffnen und langfristig zu agieren, statt immer auf Sicht der nächsten Wahlperiode. Die Nachhaltigkeit der Finanzierung stünde im Mittelpunkt.
Ich denke, dass all diese Punkte bedenkenswert sind und im Buch auch hinreichend begründet werden. Damit setzen die Autoren einen klaren Kontrapunkt zu all jenen Politikern, die ein "weiter so" propagieren. Das Buch hebt sich daher positiv von den zahlreichen Veröffentlichungen ab, die nur die Krise und den großen Crash heraufbeschwören, aber nicht versuchen, Lösungswege zu skizzieren.
Im Kapitel 7 wenden sich die Autoren den Banken selbst zu und machen einige Vorschläge, wie man zu robusten und krisenfesten Banken im Euroraum kommen kann. Auch hier konnte ich viel Pragmatismus und Wissen in ihren Vorschlägen wiederfinden, weshalb ich nach dem Lesen des Kapitels erstmals der Meinung bin, dass die Bankenprobleme lösbar sind.
Dazu müßte man, wie die Autoren schreiben, nur konsequent die Hintertürchen schließen, die Banken nutzen, um Verluste zu verstaatlichen, die Gläubiger mittels Bail-in zu einer Mindest-Beteiligung zwingen und die Vorschriften zu Eigenkapital und Insolvenzrecht der Banken entsprechend vereinfachen und damit robuster fassen. Auch hier gibt es im Detail viel zu tun, zum Beispiel bei der Einlagensicherung, bei der Regulierung und Kontrolle der Banken. Aber auch der weiteste Weg beginnt mit einem ersten Schritt (Konfuzius) und viele der nötigen Schritte sind mittlerweile bekannt!
ALLES AUF ANFANG
"Wir haben in diesem Buch ein Gedankenexperiment gewagt und eine Blaupause für eine krisenfeste Währungsunion gezeichnet. Dabei haben wir uns davon freigemacht, was derzeit politisch machbar ist, und stattdessen beschrieben, was wirtschaftlich sinnvoll und nötig wäre."
So beginnen die Autoren ihr letztes Kapitel und es ist meiner Meinung nach eine so treffende Zusammenfassung des Buches, dass ich das wörtliche Zitat hier an das Ende meiner Rezension stelle. Es ist nämlich wichtig, dass alternative und vor allem substanzielle Vorschläge für den Euro-Währungsraum jetzt auf den Tisch kommen und nicht erst, wenn die nächste Krise tobt.
Jeder, der sich mit Wirtschaft beschäftigt und mit offenen Augen durch die Gegenwart läuft, sieht die Symptome der Fehlentwicklungen durch das "billige Geld" seit 2009 und die zunehmenden Risiken für unser Land und Europa. Das muß ich gar nicht weiter erläutern.
Ich würde mir daher sehr wünschen, dass das Buch den Wirtschaftsbuchpreis oder eine vergleichbare Auszeichnung erringt. Ich hoffe, es würde dann häufiger gelesen und seine Ideen aufgegriffen und ernsthaft diskutiert. Dann wäre es möglich, das Neue vorzudenken und vorbereitet zu sein. Denn der Euro steuert auf eine historische Zäsur zu und die Frage ist nicht, ob sie kommt, sondern nur wann.
Handlungsfähige Institutionen, eine erneuerte EZB und die richtigen Anreize für Staaten wären gute Voraussetzungen, um künftige Schieflagen zu überstehen und zu bewältigen.
Den Autoren ist ein bemerkenswertes Buch gelungen, dass von jedem an Wirtschaft und Banken interessierten Leser verstanden und nachvollzogen werden kann. Es regt zum Nachdenken an, macht Zusammenhänge sichtbar, zeigt Lösungen auf und macht Hoffnung. Was kann man Besseres über ein Wirtschaftsbuch sagen?
(c) 2018 Covacoro
Sollten Sie sich für das Buch interessieren, so ist der Kauf bei Amazon über den folgenden Link für Sie nicht teurer, ich erhalte allerdings eine kleine Werbe-Vergütung. Vielen Dank, dass Sie damit diesen Blog unterstützen.
Kommentar schreiben
Prof (Sonntag, 18 Februar 2018 20:27)
Danke für die sehr ausführliche Rezession dieses Buches. Tatsächlich ist wohl die Mehrheit der interessierten Menschen vom Scheitern des Euro überzeugt:
- Bailout-Klausel gebrochen
- Übermacht der vom Transfer profitierenden Länder im EZB-Rat
Interessant wird der Zeitpunkt und der Ablauf des Zusammenbruches werden: Interessant und Verheerend. Deutschland hat im 20. Jahrhundert vier Währungsreformen mitgemacht. (WK 1 und 2, DDR und Euro). Da ist also bald wieder eine Reform dran. Die neue Reform wird nicht so harmlos verlaufen wie die beiden letzten Währungsumstellungen.
Mein Vertrauen in eine neue EZB ist nicht größer als in die aktuelle.