Die Rubrik "Rückspiegel" gibt es in dieser Form seit 2017, vorher trug sie den Namen "3+1=5", und sie ist mir irgendwie ans Herz gewachsen.
Zunächst teilte ich einfach interessante Blog- oder Internetartikel, wie es so viele Seiten tun. Doch bald sah ich ein, dass wirklicher Nutzen nur entsteht, wenn man das Gelesene reflektiert und die einzelnen Ideen weiterführt und -denkt.
Das gilt für meine Leser und für mich als Autor und Investor gleichermaßen.
Dabei ist es gar nicht einfach, seine Gedanken zu formulieren, die Situation zu kommentieren und einzuordnen. Aber es ermöglicht letztendlich, eine gewissen Distanz und Rationalität aufzubauen. Natürlich habe ich die Bücher von Jason Zweig, Amos Tversky, Daniel Kahneman und Gerd Gigerenzer gelesen, die sich mit den psychologischen Fallen und Vorurteilen beim Investieren beschäftigen. Aber Theorie ist die eine Seite der Medaille, Praxis eine ganz andere.
Schwarz auf Weiß kann ich heute nachlesen, was ich zu einem bestimmten Zeitpunkt gedacht und gelesen habe, welche Motive und Gedanken mich beeinflußt und gelenkt haben. Das ist manchmal unterhaltsam, sehr oft lehrreich und auf jeden Fall die Zeit wert, die ich in das Schreiben des jeweiligen Blogposts gesteckt habe. Daher möchte ich das nicht mehr missen!
Wie ist die Situation im Februar 2018?
Eine Börse wie Februar
Nach deutlichen Kursgewinnen im Januar kam der Rücksetzer im Februar. Viele Investoren fragen sich nun, wie es weitergeht. Nach Korrekturen um 10 Prozent nimmt die Suche nach Sicherheit und Bestätigung zu. Dabei sollte klar sein: die meisten Prognosen werden auch dieses Mal fehlgehen. Die zukünftige Entwicklung ist inherent unsicher, man sollte keine Prognose erstellen. Stattdessen kann man sich auf verschiedene Szenarien vorbereiten.
Meine Meinung nach einigem Nachdenken ist, dass die derzeitige Lage am Besten mit einem Vergleich charakterisiert ist: Es ist Februar! Das Börsenwetter ist ungemütlich und weitere Kälteeinbrüche und Schneefälle erscheinen wahrscheinlich. Gleichzeitig sieht man erste Frühlingsboten und fragt sich, ob es bald Frühling werden könnte, ja sogar ein heißer Sommer bevorsteht. Die Ausgangssituation in der Weltwirtschaft ist doch gar nicht so schlecht.
Aber noch kämpfen Winter und Frühling um die Oberhand und es ist zu früh, den Sieger auszurufen. Außerdem kommt es auf die Perspektive an, die man einnimmt: Süd- oder Nordhalbkugel und vielleicht liege ich auch falsch und wir sehen gerade die Herbststürme vor dem Einzug des Winters ...
Im Folgenden möchte ich mit meinen Lesern daher 3 ganz unterschiedliche Artikel teilen, um die grauen Zellen anzuregen. Es ist eine subjektive Auswahl, wobei es mir vor allem auf verschiedene Blickwinkel ankommt. Also versammeln sich ein Markttechniker, ein (fundamental ausgerichteter) Fondsmanager und ein Wirtschaftsjournalist um Covacoros Kaminfeuer. Angereichert wird der Abend mit einer Fotoauswahl und Kurzgeschichten aus meiner Feder :-).
Der Markttechniker mahnt zur Vorsicht
Alfons Cortes schreibt die Kolumne Markttechnik der Finanz und Wirtschaft und behauptet, dass es "Im Westen viel Neues" gibt. Nun, sein Artikel bringt im Wesentlichen die alten Argumente: Wendepunkte an der Börse sind Trendbrüche und kündigen sich in den Charts an.
Entweder gibt es zuvor eine spekulative Blase und Übertreibung in den Kursen oder richtungslose Volatilität, also Kursschwankungen, oder Beides. Die Trendbeschleunigung und Oszillationen bestätigen mittlerweile auch ernsthafte Wissenschaftler. Didier Sornette hat darüber ein ganzes Buch* geschrieben, einen TED-Talk gehalten und an der ETH Zürich das sogenannte "Financial Crisis Observatory" gegründet, das regelmäßig Reports veröffentlicht.
Alfons Cortes mahnt zur Vorsicht und zur Bereitschaft, sich dem Markt anzupassen, sollte er seine Richtung wechseln: "Der Rückschlag, der am 26. Januar seinen Anfang nahm, mag ein erster Schritt in Richtung einer Transition von Hausse zu Baisse gewesen sein – oder auch nicht. Die Transition selbst war er mit Sicherheit noch nicht. Es geht jetzt darum, die Börse regelmässig auf Signale auszuhorchen, die zu Typ eins, zwei oder drei gehören, um sich rechtzeitig im Sinne von Andrew Lo und seiner «Adaptive Market Hypothesis» dem Markt – dem Herrscher über unser Wohl und Weh – anzupassen."
Passive Investoren werden diesen Ansatz vehement ablehnen, da sie davon überzeugt sind, dass man den Markt nicht timen kann und das es schlimmer ist, nicht investiert zu sein, man also Baissen einfach aussitzen sollte. Dazu gibt es zahlreiche Studien und Charts, wie das Folgende.
Wer die besten 10 Tage des S&P500 nicht investiert war, erzielte von 1997 bis 2016 nur eine Rendite von 4 Prozent statt 7.68 Prozent. Verpasste man noch mehr Aufwärtstage, so sinkt der Return schnell auf das Niveau einer Staatsanleihe oder wird negativ. Zusätzlich wird das Argument für Buy & Hold durch den Kommentar verstärkt, dass 6 der 10 besten Tage innerhalb von 14 Tagen nach den schlechtesten Tagen zustande kamen. Und dann ist der Markt-Timer keinesfalls schon wieder investiert, wartet er doch auf klare Signale der erneuten Trendwende.
Daher dürfte es auch kaum überraschend sein, dass die Zuflüsse in Indexfonds weiter zunehmen, egal wie hoch die Kurse steigen. Das folgende Chart stammt aus der Publikation "Global ETP Landscape" von BlackRock von Januar 2018. Es zeigt die rekordhohen Zuflüsse noch im Januar mit 100.6 Milliarden US-Dollar, wovon 83.2 Milliarden in den Aktienmarkt flossen. Der vormalige Rekordmonat war der September 2008 mit Zuflüssen von 64.7 Milliarden Dollar!
Was halte ich davon? Ich sehe die hohen Zuflüsse in Indexfonds einerseits als markt-stabilisierend an, andererseits als Gefahr. Viele Investoren sind nicht bereit für ETFs und werden das Buy & Hold nicht durchhalten, wenn der Markt wirklich deutlich korrigiert. Auch wenn es die Studie von JP Morgan nahelegt, geht es am Aktienmarkt nicht darum, Recht zu behalten oder die höchste Rendite zu erzielen. Sondern zuallererst um Risikokontrolle. Das begreift man aber meist erst nach der zweiten Baisse, in meinem Fall war das 2008.
Der Fundamentalanleger ist nachdenklich
Georg von Wallwitz kommentiert den Februar in seinem 127.Börsenblatt. Er beschreibt, dass das bisherige positive Bild einige Risse bekommen hat. So ziehen Konjunktur und Rohstoffpreise an, was die Inflationsgefahren erhöht. Die Zinsen steigen in den USA und der Pessimismus aus 2016 ist einem wirtschaftlichen Optimismus gewichen. Gleichzeitig sind aufgrund der immer noch relativ niedrigen Zinsen viele Anleger und auch Institutionen in Anlageklassen investiert, die sie vorher nicht angefasst haben.
Aus seiner Sicht hat der Einbruch zu Jahresanfang aber nichts damit zu tun, dass es der Konjunktur oder den zukünftigen Unternehmensgewinnen schlechter geht. Die reale Wirtschaft spielt, wie in jeder Übertreibungsphase, auch diesmal keine Rolle. Weiterhin konstatiert er, dass wir momentan keine Finanzkrise haben oder Banken in Gefahr sind.
Aber er ist der Meinung, dass an den Zinsmärkten eine Normalisierung der Verhältnisse stattfindet. Es werden wieder Risiken eingepreist, Risikoprämien verlangt und Zinsniveaus antizipiert, die nicht mehr künstlich durch die Notenbanken am Boden gehalten werden.
Die Unsicherheit besteht nun darin, wie schnell und wie heftig dieser Anpassungsprozess stattfinden wird. Und einige Investoren werden natürlich die Extremszenarien spielen, wie zum Beispiel eine hohe Inflation, einen extrem schwachen Dollar oder politische Instabilitäten.
Eyb & Wallwitz tut aber zunächst einmal nichts. Zitat: "Die Kurse mögen noch ein stückweit fallen, je nachdem, wie viele Fonds ihre Positionen noch liquidieren müssen. Aber dann kommen irgendwann die „Value“-Investoren in den Markt, die Unternehmen nach ihrer wirtschaftlichen Stärke und Substanz beurteilen und eine günstige Kaufgelegenheit wittern. Denn so lange die Zinsen absolut niedrig bleiben (was sie unter 4% in den USA und unter 3% in Europa zweifellos sind) und die Konjunktur gut läuft, gibt es keinen Grund, Aktien nicht mehr zu mögen."
So habe ich mich im Februar ebenfalls verhalten und sicher auch davon profitiert, dass ich mein Depot und Wikifolio bereits in 2017 defensiver aufgestellt habe. Dazu wurde neben zyklischen, wachsenden Unternehmen verstärkt in defensivere Branchen investiert, die stabilere Cashflows über den Zyklus aufweisen. Beispiele hierfür sind Capital Stage (Einspeisevergütungen für Solar- und Windparks), Freenet (Mobilfunkgebühren) sowie die Aktienwerte aus der Nahrungs- und Genussmittelbranche (Berentzen und Hochdorf).
Vielleicht ist Normalisierung schon eine Gefahr
Als letzten Artikel möchte ich "Ein Rückzug voller Gefahren" von Andreas Neinhaus zur Lektüre empfehlen. Zwei Aussagen haben dabei meine Aufmerksamkeit erregt.
Zitat: "Der jüngste Kurssturz an den Börsen zeigt jedoch, dass die Risiken des Rückzugs aus QE auch ganz woanders lauern können: auf Nebenschauplätzen, wo sich über die Jahre Preisverzerrungen gebildet und Ungleichgewichte angestaut haben. Diesmal waren Termingeschäfte auf den führenden Volatilitätsindex verantwortlich."
sowie
"Eine Normalisierung ist dringend erforderlich, aber sie stellt selbst ein Risiko dar." (Hervorhebungen durch den Autor.)
Diese Beobachtungen teile ich und sie schließen für mich den Kreis zu den "Dragonkings" aus dem TED-Video von Didier Sornette, also wie Blasen entstehen und bei einer kleinen Störung dann letztlich platzen.
Ich habe das Gefühl, dass die Stabilität der Märkte überschätzt wird und vor allem die Politik in den USA mit Steuererleichterungen und Infrastrukturausgaben durch die Regierung, Zinserhöhungen durch die FED und stärkere Deregulierung am Finanzmarkt genau das Gegenteil von dem sind, was wir derzeit benötigen würden. Augenmaß und Vorsicht.
Stattdessen wird Öl ins Feuer gegossen, die Konjunktur befeuert und die Defizite (Haushalt und Außenhandel) und Schulden vergrößert. Die Finanzmärkte erkennen vielleicht das Dilemma und nehmen die Gefahren vorweg. Das beunruhigt mich mehr, als eine Kurskorrektur um 5 oder 10 Prozent nach einer Rallye zuvor, die von guten Unternehmensdaten untermauert war.
Die Frage ist wirklich, auf welchem Nebenschauplatz den Akteuren als Erstes die Kontrolle entgleitet und ob dieser Knall auf den gesamten Markt übergreifen und nachwirken wird. Niemand sah 2007 bei der Schließung der ersten 3 Fonds durch BNP Paribas aufgrund von Kreditproblemen, dass die Probleme tiefer lagen.
Da sowohl Aktien als auch Anleihen hoch bewertet sind, wird es diesmal auch keine simple Möglichkeit geben, in Sicherheit zu flüchten. Daher ist man wohl gut beraten, sich keine Denkverbote aufzuerlegen, was man für die verschiedenen Szenarien in Betracht zieht.
"Risiko bedeutet, dass mehr Dinge passieren können,
als passieren werden.“
Elroy Dimson
Erfolgreiche Investments und viel Entscheidungskraft wünscht
Covacoro
(c) 2018 Covacoro
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Prof (Montag, 26 Februar 2018 14:40)
Von charttechnischer Seite sieht die Sache noch gut aus: Der S&P 500 steht deutlich über seiner 200 Tage Linie. Der DAX als sein Anhängsel liegt zwar knapp darunter, aber die Musik spielt in den USA. Also von meiner Seite gibt´s Entwarnung!