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Investieren lernen: 70-20-10

Ist es Zeit dem Markt den Rücken zu kehren? (Bild: Kirchentür, Quelle: pixabay.com)

Das Investieren an der Börse ist doch eigentlich ein Klax! Man muss nur die richtigen Bücher oder Blogs lesen und findet bald ETFs, passives Investieren und die Markteffizienzhypothese.

Ende der Diskussion, Lektion gelernt. Wenn man dann noch das Pareto-Prinzip beachtet und spart, kann man selbst als Mieter ganz schnell reich werden, so in 35 Jahren. :-)

 

Motivierend ist sowas schon, bringt auch Klicks. Aber eben auch stark vereinfachend. Die zweite Seite der Medaille ist nämlich das 70-20-10-Modell. Und das übrigens unabhängig davon, ob man passiv, aktiv, chaotisch, blind, systematisch oder sonstwie sein Geld anlegt.
 


Was bedeutet 70-20-10?

 

Das 70-20-10 Modell ist leider viel unbekannter als das Pareto Prinzip. Dabei beschäftigt es sich mit etwas, was man sein ganzes Leben benötigt: dem Lernen. Man sollte es kennen und beherzigen, weil es nützlich ist: Egal ob wir lernen wollen, ein Instrument zu spielen, ein Auto zu fahren oder an der Börse zu investieren.

 

Lernen besteht nach diesem Modell aus drei wichtigen Elementen:

  • 10 Prozent ist die sogenannte Wissensaufnahme, die zum Beispiel durch das Lesen von Büchern und im Internet passiert.
  • 20 Prozent des Lernens ist soziale Interaktion, zum Beispiel zwischen Lehrer und Schüler, mit dem Trainer oder mit anderen Lernenden.
  • 70 Prozent des Lernens passiert "On-the-Job", wie man neudeutsch sagt, und erst bei der praktischen Anwendung des Wissens. Je fordernder die Situationen und Aufgaben, desto besser und schneller wird aus Wissen eine erlernte Fähigkeit.

Ob bewusst oder unbewusst: Das ist die ungefähre Aufteilung unserer Lernerfahrungen. Man sollte 70-20-10 dabei nicht als starre Regel verstehen, sondern als Orientierungsrahmen.
 


Investieren lernen in Zeiten der Blogs und Podcasts

 

Das Internet: ein El Dorado für den Suchenden und Lernenden auch bei allen Fragen zur Geldanlage. Noch nie war es einfacher, an das benötigte Wissen oder an Meinungen zu kommen, Google & Co sei Dank. Also konzentrieren sich viele Do-it-Yourself-Anleger vor allem auf diesen Punkt: Couch-Surfing und Wissen aufsaugen.

 

Dabei konsumieren wir Informationen heute oft häppchenweise: kurze Videos, Blog-Posts, Podcasts etc. Neue Medienformate helfen uns, Wissen verständlich aufzubereiten und weiterzugeben. Andererseits wird es so oft schwerer, die Puzzlesteine und Häppchen zum großen Ganzen zusammenzusetzen, was ein gut gegliedertes Buch mühelos leistet.

 

Und last but not least laufen wir gerade heute Gefahr, zu früh einer hinlänglich guten Argumentation zuzustimmen, dieser Denkschule beizutreten und uns in die Filterblase zu begeben. Gefährlich, wenn dann der Blick über den Tellerrand unterbleibt.

 

Also daran denken: Bloglesen und Youtube sind nur 10 Prozent des Wegs!

 

Wie sieht es mit der Interaktion aus? Benötigen heutige Menschen diese nicht mehr, um Dinge zu lernen und zu begreifen? Ich glaube, sowohl im privaten als auch beruflichen Alltag, findet jeder zahlreiche Gegenbeispiele, dass dem nicht so ist.

 

Schaut man sich aber die Anzahl der stillen Leser von Finanzseiten und -blogs in Relation zu Kommentaren oder Teilnehmern an Seminaren, Blogtreffen etc. an, dann ist da wenig Action.

Nur ein kleiner Bruchteil fragt nach, merkt an, diskutiert mit, um Fakten und Aussagen wirklich zu verstehen. Oder ergreift die Chance zu persönlichem Kontakt und stellt sozusagen den Turbo an: schneller auf 20 Prozent.

 

Früher, in der Vor-Internet-Zeit, war das ein ganz entscheidendes Hindernis: vor Ort sein zu müssen, wenn man mit schlauen Köpfen diskutieren und von ihnen lernen wollte. Heute gilt anscheinend vor allem der olympische Gedanke: Mitlesen ist alles (und kostenlos muss es sein).

 

Und die Anwendung des Gelernten? Sie wird oft nicht als Teil des Lernprozesses gesehen, sondern davon separiert. Das ist aber falsch. Da steht nicht umsonst die größte Zahl im Modell: 70 Prozent. Soviel Zeit bitte schön der Praxis und der Anwendung des Wissens reservieren.

 

Echt jetzt? Im anderen Blog stand das aber ganz anders! Ich lese mir einfach in 2 Wochen alle smarten Artikel durch, belege den coolen Online-Kurs, lese das E-Book oder was weiß ich noch und werde schwups-die-wups zum coolen Passivinvestor. Dann setze ich schnell das Depot auf, richte den Sparplan ein und dann ist es im Jahr nur noch 1 Stunde Arbeit: Rebalancing und Freuen über den Depotstand.

 

Simpel, einfach, glasklar. Wer eben zu den Wissenden gehört und das "gecheckt" hat, der macht auch keine Fehler mehr beim Investieren. Weil gelesen ist gelesen...

 

Tja, was denn nun? 70 Prozent oder nicht der Rede wert?

 


Das Verhalten ändern benötigt Zeit

 

Meine Erfahrung nach über 20 Jahren Beschäftigung mit dem Thema: die Wahrheit liegt näher bei 70 Prozent. Investieren lernen ist ein langwieriger Prozess unabhängig von der verfolgten Strategie.

 

Im Wesentlichen liegt das an drei Ursachen:

  1. Man kann sehr viel Wissen besitzen zu allen möglichen Details. Am Ende kommt es aber darauf an, wie sich der jeweilige Anleger in der konkreten Situation tatsächlich verhält. Nobody is perfect, an der Börse ist instinktiv meist falsch. Das richtige Verhalten zu erlernen benötigt mehr Zeit, als man erwartet. Investieren muss man praktizieren.
  2. Für die Geldanlage gilt uneingeschränkt: grau ist alle Theorie und heute ist veraltet, was gestern modern war. Schon in den 70er Jahren wurde die Markteffizienzhypothese aufgestellt und der erste Indexfonds entwickelt. Jetzt sind beide im breiten Publikum in Europa angekommen. Seitdem gab es zahlreiche Ergänzungen, Weiterentwicklungen und Gegentheorien. Es ist nur eine Frage der Zeit, dass neue Modelle und Produkte das Licht der Welt erblicken - man muss am Ball bleiben! Alles fließt - panta rhei. 
  3. Last but not least: Die individuelle Situation und persönlichen Ziele sind viel wichtiger, als stur einer wissenschaftlichen Strategie für den "rationalen" Anleger zu folgen. Niemand wird zu jedem Zeitpunkt in seinem Leben die gleiche Risikotragfähigkeit besitzen und über die gleichen finanziellen Mittel verfügen. Warum sollte er dann einem unveränderlichen Investitions-Plan und -Stil folgen? Im Gegenteil: regelmäßiges Geldanlage-Fitness-Training und Health-Checks sind unerläßlich. Ich kümmere mich regelmäßig um meine Finanzen und um das Risiko. Heißt auch: auch Indizes können irgendwann absolut wahnwitzig hoch/tief/falsch liegen.

 

In Summe bewirken diese drei Faktoren, dass die Praxis der Geldanlage mehr Zeit von uns Anlegern verlangt, als man sich am Anfang der Reise vorstellt. Vielen neuen Anlegern könnte das im Februar klar geworden sein, als plötzlich die Kurse etwas stärker zurückgegangen sind. Manch alter Anleger investiert genau dann sehr viel Zeit, wenn die Kurse sehr hoch stehen. Aber unabhängig davon: jede Lern-Erfahrung ist nützlich und es ist nicht nur eine Floskel, sondern Tatsache, dass in der Theorie einfach klingt, was in der Praxis schwierig ist.

 

Daher wird man vielleicht schmunzeln, wenn wieder so ein Artikel um die Ecke kommt, wie genial einfach Investieren an der Börse ist. Und sich erinnern: da war doch das 70-20-10 Modell. Ich sollte nicht soviele Blog-Artikel lesen, sondern mehr tatsächlich und praktisch investieren. Dann lerne ich aus meinen Fehlern und werde schneller ein erfahrener und erfolgreicher Investor.

 

 

(c) 2018 Covacoro

 


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Kommentare: 3
  • #1

    Prof (Freitag, 16 März 2018 20:11)

    Zustimmung und noch eine Ergänzung: Auch die 70% Erfahrungswert unterliegen einem zeitlichen Verfall. Obwohl ich schon den Milleniumcrash mitgemacht habe, liegen die Erfahrungen des "Schönwettersegelns" seit 2008 halt näher dran.
    Die neuesten Erfahrungen verdrängen mitunter das große Bild. Da muss man aufpassen!

  • #2

    Dummerchen (Freitag, 23 März 2018 10:02)

    Schöner Artikel, dem ich in seiner Kernaussage vollkommen zustimmen kann: "Entscheidend ist auf'm Platz"! Erst in der Umsetzung bemerkt man, ob man das Wissen wirklich verinnerlicht bzw. verstanden hat. Selbst passives Investieren ist zwar mit relativ wenigen Aktivitäten verbunden, hat aber auch seine Herausforderungen, denen nicht jeder gewachsen ist - auch das Nichthandeln ist mitunter schwierig.

    Liebe Grüße
    Dummerchen

  • #3

    DerFinanzstratege (Mittwoch, 04 April 2018 19:12)

    Du hast Recht mit Deinem Artikel, daher meine Devise: Just Do It!
    Ausprobieren und einfach machen ist wichtig. Natürlich sollte man dabei - gerade bei Finanzthemen nicht blauäugig reingehen. Eine vernünftige und persönliche, das heißt auf die individuellen Bedürfnisse und die individuelle Risikobereitschaft zugeschnittene Finanzstrategie, die auf einem Basiswissen aufbaut, ist wichtig. Entscheidend ist aber die Erfahrung, die Du über die Jahre sammelst. Und diese Erfahrung solltest Du auch immer frisch halten. ich bin selbst auch schon seit über 30 Jahren dabei. Etwas sorge bereitet mir, dass viele, die in den letzten 10 Jahren eingestiegen sind, die Erfahrungen aus den Jahren und Jahrzehnten davor nicht erlebt haben. Dadurch fehlt ihnen die erlebte Krisenresistenz. Aber auch diese Erfahrung wird durch aktive Teilnahme am Marktgeschehen irgendwann gesammelt werden.
    Viele Grüße
    DerFinanzstratege