statt Sell in May and go away? Diese Frage stellt sich anscheinend jedes Jahr.
Zunächst sind April und Mai für Anleger in Aktien ereignis- und arbeitsreich: die Geschäftsberichte des Vorjahres trudeln ein, die Unternehmen geben den Ausblick und Zukunftspläne bekannt, die meisten Werte halten ihre Hauptversammlung ab und zahlen die Dividende aus.
Und dann gibt es ja diese "Börsenweisheit", die in Zeitschriften, Blogs und Artikeln jedes Jahr zitiert und analysiert wird: Sell in May and go away. Manchmal liefern die Autoren auch die Statistiken für verschiedene Indizes mit, wann und wie oft es zu Kursrückgängen über den Sommer kam und geben ihre Einschätzung, warum im aktuellen Jahr die Börse vermutlich fallen, steigen, schwanken oder ... wird.
Diese Prognosen sind zwecklos, meist kommt es anders als man denkt und gar nicht so selten, vor allem bei Nebenwerten, entfalten bestimmte Aktien sogar ein Eigenleben und folgen gerade nicht der allgemeinen Börsentendenz. Trotzdem werden diese Prognosen genauso wie am Jahresanfang anscheinend gern gelesen.
Wie gehe ich mit dem Monat Mai und den zweifellos zahlreichen Informationen zu Werten in meinem Portfolio um? Drei Beispiele liefert der heutige Blogartikel.
DIVIDENDEN, KURSE, MUSTER
Zunächst will ich gar nicht abstreiten, dass es teilweise Einzelwerte mit typischem Muster gibt: starke Kursanstiege vor der Hauptversammlung, wenn Dividendenjäger aufspringen, danach nicht selten Kursrückgänge, die über den Dividendenabschlag hinausgehen.
Während der eine Anleger also bequem Ausschüttungen vereinnahmen will, gibt der andere Anleger bereitwillig die steigende Aktie vorzeitig ab und lauert auf einen günstigeren Wieder-einstieg. Auch nicht zu vernachlässigen: Dividenden können im Zeitalter der Abgeltungssteuer nicht mehr mit Kursverlusten verrechnet werden. Wer also noch Verlustvorträge besitzt, sollte lieber einen Kursgewinn als eine Dividendeneinnahme generieren.
Andererseits verursacht jeder Verkauf zusätzliche Transaktionskosten und der spätere Einstiegskurs ist unsicher. Daher ist es eine kostenschonende Alternative, die Dividenden als Kapital zu nutzen, um bestimmte Werte im Depot mit einem übertriebenem Kursrückgang antizyklisch aufzustocken. Ist man langfristig ausgerichtet, hat man oft ein Kernportfolio mit Unternehmen, die man bereits sehr gut kennt und die hierfür in Frage kommen.
Dann heißt es im Mai also eher Augen auf und Nachkauf-Chancen suchen und wahrnehmen, statt dem Markt den Rücken zu kehren.
NACHHALtIG, FAIR, LANGFRISTIg
Ein typischer Wert für mein Kernportfolio ist zum Beispiel die Paul Hartmann AG.
Noch nie gehört?
Aber die Diskussion um den Pflegenotstand, die steigenden Kosten im Gesundheitsbereich allgemein sind doch aktuell in Deutschland sehr präsent.
Warum also nicht in ein Unternehmen investieren, das Medizin- und Pflegeprodukte herstellt und den praktischen Nutzen für die Patienten und das medizinische Personal in den Vordergrund stellt?
Mit Produkten für die Wundbehandlung, für die Infektionsprophylaxe und Inkontinenzversorgung einerseits, mit Marken wie Kneipp, Sanimed und Veroval für Endkunden anderseits.
Eine vermeintlich "langweilige" Aktie, deren Kurs oft ab Juni schwächelt und die sich daher gut nach der Dividendensaison im Sommer einkaufen läßt.
Zumindest in 2015 und 2016 funktionierte dieses Vorgehen sehr gut. Seit Mitte 2017 belasten höhere Investitionen und regulatorische Kosten das Ergebnis. In der Folge ist der Kurs bis auf 360 Euro zurückgegangen, trotz Überschreitens der 2 Mrd. Euro Umsatzmarke und trotz der gleichzeitigen Diskussion in den Medien, dass Verbesserungen bei der Pflege dringend nötig sind.
Nach Lesen des Quartalsberichts Q1/18 bin ich jedenfalls sicher, dass die derzeitigen Kurse für Anleger mit langfristigem Anlagehorizont eine gute Gelegenheit darstellen und werde die Aktie weiter zukaufen.
GUT INFORMIERT IST HALB Gewonnen
Auch beim zweiten Wert werde ich nicht versuchen durch Trading um den Dividenden-Termin eine höhere Rendite zu erzielen. Im Gegenteil, hier habe ich sogar nach den Zahlen und vor der Hauptversammlung nachgekauft.
Es handelt sich um die Deutsche EuroShop (DES), Deutschlands einzige Aktiengesellschaft,
die ausschließlich in Shoppingcenter investiert. Da der Einzelhandel auch in Deutschland mit der Onlinekonkurrenz zu kämpfen hat, gingen in der Fläche die Umsätze in 2017 zurück. Die DES kann aber an den erstklassigen Standorten ihrer 21 Shopping Center sowohl eine nahezu 100%ige Vermietungsquote erzielen, als auch sehr stabile, langfristig gut planpare Cashflows.
Da außerdem die Mietverträge inflationsgesichert sind und das Management konservativ bilanziert, habe ich mich im Herbst 2017 zum Einstieg entschieden, obwohl der Kurstrend noch klar negativ war. Die Fundamentaldaten der letzten 10 Jahre legen aber Zeugnis davon ab, wie solide das Geschäft war und ist. Nun sieht es so aus, als würde der Kurs gerade einen Boden bilden und beginnen, sich zu erholen. Dazu hat sicher auch die vorbildliche Bericht-erstattung der Deutschen EuroShop über das letzte Geschäftsjahr beigetragen (Link zum Geschäftsbericht).
Sowohl die Aufbereitung der Zahlen, als auch die Vorstandsinterviews und begleitenden Materialien sind erstklassig, sachlich und informativ. Das ist keine Selbstverständlichkeit.
Für Investoren, die an steigenden und nachhaltigen Dividenden interessiert sind, ist die DES meiner Meinung nach auf jeden Fall einen Blick wert. Der FFO (Funds from Operations) wird mit 2,35 bis 2,39 € je Aktie für 2018 und 2,40 bis 2,44 € je Aktie für 2019 erwartet. Dadurch wird die Basis für eine weitere Steigerung der Dividende auf 1,50 bzw. 1,55 Euro gelegt. Auf aktuellem Kursniveau entspricht das einer Dividendenrendite von über 4,5 Prozent!
EIN BESUCH IN BERLIN IST ANGESAGT
In meinem letzten Wikifolio-Quartalsbericht hatte ich es bereits thematisiert: Manchmal ist man nach dem Lesen eines Geschäftsberichts konsterniert und im Zweifel, ob die getroffene Investitionsentscheidung revidiert werden muss. Wenn die vorgestellten Zahlen zum Beispiel eher schlecht ausfallen, die Präsentation aber mehr Wert auf Imagepflege und Vision legt, als auf die Analyse der Ursachen.
Die Rede ist von der Francotyp Postalia AG, einem Unternehmen mit Sitz in Berlin. Der Kurs hat zunächst nach der Hauptversammlung in 2017 seinen Höhepunkt bei 6,10 Euro erreicht. Ab Herbst ging er in den Sinkflug über, da die Pressemeldung zum Halbjahr (Link) viele Investoren enttäuschte und letztlich bestätigten die Zahlen für das Gesamtjahr diese Kursentwicklung. Derzeit steht er bei nur noch 3,30 Euro.
Da ich kein Fan von emotionalen Schnellschüssen bin, sondern weiß, dass Veränderungen in Unternehmen Zeit brauchen und Fehler passieren können, finde ich es angebracht, zur diesjährigen Hauptversammlung zu fahren, um einen Eindruck zu bekommen, wie Aufsichtsrat und Vorstandsteam, die "Karre aus dem Dreck" ziehen wollen.
Das Frankiermaschinen-Geschäft ist weiter solide, Sorgen bereiten die niedrigen Margen im Bereich Mail Services und die Frage, ob die verordnete Medizin des Wandels richtig dosiert und ausgewählt wurde. Die Skepsis der Investoren zur Vision des Managements, in 2020 einen Umsatz von rund 250 Mio. Euro und vor allem eine EBITDA-Marge von 17 Prozent zu erzielen, ist nachvollziehbar. Für die Profitabiliät (EBITDA-Marge) würde das einen Anstieg von nahezu 4 Prozentpunkten bedeuten.
Also schauen wir mal, ob der Vorstand erläutern wird, warum 2018 erneut ein "Übergangsjahr" ist und wie er die Brücke zwischen Ist und Soll bauen will. Gelingt ihm das nicht, werden wohl weitere Anleger der Aktie abspenstig werden. Gelingt es, könnte die Hauptversammlung die positive Wende für den Kurs bedeuten.
FAZIT
Drei Aktien, drei Geschäftsberichte, drei unterschiedliche Reaktionen: Zukauf vorbereiten, Zukauf durchführen, Watchlist für Verkauf.
Was hat das mit dem Monat Mai zu tun?
Nichts.
Und genauso sollte es glaube ich auch sein, denn es geht um das Investieren in Unternehmen.
(c) 2018 Covacoro
"Zeit ist der Freund eines exzellenten Unternehmens.
Zeit ist der Feind eines mittelmäßigen Unternehmens."
Warren Buffett
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Prof (Montag, 07 Mai 2018 12:48)
Hallo Covacoro,
na endlich mal ein Post, bei dem ich eher gegensätzlicher Meinung bin:
- Sell in May ist verfrüht, aber in den Monaten August und September ging es in Deutschland sehr häufig bergab. Im Aktionär 18/2018 wurde ab Seite 34 die Thematik recht ausführlich behandelt: Währen der DAX seit 1988 um 1150% gestiegen ist, hat es ein DAX mit Ausstieg im August und September auf fette 5700% gebracht. Dagegen sind eventuelle Transaktionskosten marginal.
Natürlich ist das keine Garantie, aber ich werde im Juli vorsichtig!
- Deutsch Euroshop befinden sich weiter unter dem GD 200. Sie dürften durch die fette Dividende noch mal eins draufbekommen. Falls eine Dividende >= 3% gezahlt wird gibt es meist einen deutlichen und überproportionalen Abschlag. Hierzu mal ein Blogbeitrag von mir: https://www.charttechnik-trends.de/fortec-dividendenstrategie/ .
Wenn ich Amazon (Online-Handel) als inverse Dt. Euroshop (Stationärer Handel) ansehe, dann bin ich hier sehr vorsichtig.
Bei Francotyp tippe ich laut Chart auf einen weiteren Abstieg, aber ich kann mich auch irren. Auf Deinen Bericht von der HV und Deine Reaktion bin ich gespannt.
Prof
DerFinanzstratege (Mittwoch, 09 Mai 2018 16:33)
Immobilienaktien halte ich nicht für abwegig. Die Deutsche Euroshop ist innerhalb der deutschen Immobiliengesellschaften wiederum auf Shopping-Center konzentriert, die grundsätzlich - trotz Online-Handel - immer noch ganz gut frequentiert werden. Es handelt sich dabei eben nicht um den klassischen Tante Emma Laden, sondern um professionell geführte Einkaufszentren. Auf mittlere Sicht betrachtet sicher eine überlegenswerte Portfoliokomponente.
Viele Grüße
Andreas
Covacoro (Mittwoch, 09 Mai 2018 18:19)
Jeder kann ja für sich prüfen, wieviel Prozent seiner Einkäufe wo passieren und wenn man in einer größeren Stadt ein Einkaufscenter hat, wofür man es nutzt, wie oft und ob da Online demnächst als Ersatz wahrscheinlich ist.
Ich sehe Deutsche Euroshop nicht als Anti-Amazon, weil Amazon wäre bei denen Kunde, wenn sie demnächst einen Offline-Shop eröffnen würden. Umgekehrt geht das nicht. Die Deutsche Euroshop ist für den Einzelhandel etwa das, was das Rechenzentrum für Amazon ist. Wenn ein Einzelhändler Umsatz verliert und schließt, dann steht in der Regel bereits der nächste Einzelhändler vor der Tür und besetzt die 1a Shopping-Lage.
Ein sehr interessanter Artikel zu Amazon auf Bloomberg:
https://www.bloomberg.com/graphics/2018-amazon-industry-displacement/
zeigt, dass selbst in den USA noch 90% "offline" gekauft wird. Gefühlt ist es wohl ganz anders, daher vielleicht auch der Druck auf die Kurse z.B. bei Deutsche Euroshop.
Prof (Sonntag, 13 Mai 2018 13:03)
Ich zitiere den Finanzstrategen: "immer noch ganz gut frequentiert werden".
Noch bedeutet für mich soviel wie "bald weniger oder gar nicht mehr". Stecke ich mein Geld in eine Branche, die noch recht gut läuft?
Prof
Covacoro (Sonntag, 13 Mai 2018 14:00)
Der Value-Anleger würde mit Ja antworten, der Growth-Anleger mit Nein.
Beide haben wohl aus ihrem Blickwinkel gute Argumente.