Nun ist es also so gekommen, wie im letzten Rückspiegel befürchtet: Im Herbst fallen nicht nur die Blätter, sondern auch die Kurse an der Börse.
Neben dem Handelskrieg beschäftigen uns zunehmend die Unsicherheit um Italien und einen BREXIT ohne Deal.
Im heutigen Artikel soll es daher um Grossbritannien und den BREXIT gehen, welche Fundstücke ich empfehlen kann, wenn man besser verstehen will, was da passiert.
BREXIT oder Let's make money
Wissen Sie eigentlich, was Nigel Farage war, bevor er eine politische Laufbahn eingeschlagen hat? Er gilt ja als das Gesicht des BREXIT und stand im Zentrum der "LEAVE"-Kampagne.
Nun: Er arbeitete in der City of London als Rohstoffhändler, später für Investment-Banken und einen Devisenhändler, wie man auch auf Wikipedia hier nachlesen kann. Darf man annehmen, dass ein ehemaliger Händler weiß, dass Kurse auf News reagieren und durch News gemacht werden? Ja, ganz sicher!
Insofern ist der Artikel von Chris Skinner über die Abläufe rund um den BREXIT-Tag ein Must-Read zum Einstieg:
How much did Nigel Farage make out of Brexit?
Gleich zweimal am Abend des Referendums erklärte Farage seine Niederlage, was den Pfund-Kurs noch einmal über 1.50 GBP/USD brachte. Als um Mitternacht offizielle Auszählungen die Runde machten und den Sieg der Kampagne bestätigten, stürzte das Pfund ab. Eine Grafik der BBC zeigt den damaligen Verlauf:
Was wir aber nicht wußten und erst durch Recherchen und spätere Bücher ans Licht gezerrt wurde: Farage und zahlreiche Hedgefonds bemühten sich eifrig, eher als der Normalbürger zu wissen, wie das Referendum ausgegangen ist, um entsprechende Währungsgeschäfte zu tätigen.
Private Unternehmen führen dazu sogenannte Exit-Polls durch und verkaufen diese Daten, wie die Abstimmung wahrscheinlich gelaufen ist. Eines dieser Unternehmen trägt den schönen Namen Survation und stand unter Führung von Damian Lyons-Lowe, einem ehemaligen Hedgefonds-Verkäufer.
Seine Verbindungen zu UKIP, zur Leave-Kampagne und zu Farage sind zahlreich, daher haben viele Berichte den naheliegenden Schluss gezogen, dass Farage vermutlich im Besitz der Daten von Survation war, als er seine Statements abgab. Und das wurde selbstverständlich umgehend dementiert, beispielsweise hier.
Jeder muss selbst entscheiden, welcher Story er hier glauben mag. Die Widersprüche legt ja auch obiger Artikel offen. Beim Referendum ging es jedenfalls zuletzt um die politischen Aspekte wie Reformen und selbständigere Nationalstaaten, was auch der letzte Link in diesem Artikel noch einmal bestätigen wird.
London als Finanzzentrum: Fluch oder Segen?
Unmittelbar nach der Entscheidung für den Austritt machte es sofort die Runde: Was wird aus der City of London und den dort ansässigen Banken nach dem BREXIT? Werden sie keine Geschäfte mehr in der EU tätigen können? Keinen Zugang zum Binnenmarkt mehr haben? Werden sie gar ihre Zentralen nach Paris, Brüssel oder Frankfurt verlegen? Wird London seine Bedeutung als wichtiges Finanzzentrum verlieren?
Ich gebe zu: Diese Fragen haben mich bisher kaum bis wenig interessiert. Doch dann wurde ich in einem anderen Forum auf folgenden Artikel aufmerksam gemacht:
The finance curse: How the outsized power
of the City of London makes Britain poorer
Dieser Long-Read des Guardian stellt Überlegungen an, was der starke Finanzsektor für die britische Wirtschaft bedeutet. Er findet überraschende Parallelen zu besonders rohstoff-reichen Ländern, die kein gesundes Wirtschaftswachstum aufweisen, stattdessen Korruption, Vetternwirtschaft und eine Misallokation des Kapitals in diesem Sektor.
Auch ein zu großer Finanzsektor führt zu Verwerfungen und ist keine Wachstumsmaschine, sondern hinderlich, führt der Autor aus. Und der Artikel nimmt eine überraschende Wendung, wenn er sich schließlich den Themen Infrastruktur und Unternehmenssteuern zuwendet.
Ich finde: wirklich lesens- und bedenkenswert, was der Autor hier zusammengetragen hat und daher landet sein Buch* auf meiner Leseliste für Weihnachten.
AUSBLICK und FAZIT
Nach dem Referendum übernahm Theresa May als Premierministerin das Zepter von David Cameron und hatte das "Vergnügen" den Austrittsprozess einzuleiten. Wichtig zu wissen ist dabei, dass für die Austrittsverhandlungen eine Zwei-Jahres-Frist gilt und diese mit dem 29.März 2017 zu laufen begann.
Danach erlischt die Mitgliedschaft des Austretenden automatisch und unabhängig vom Verhandlungsstand, außer der Europäische Rat verlängert den Verhandlungszeitraum einstimmig. Daher nahm man bisher an, dass spätestens im Herbst 2018 feststehen würde, welche Bedingungen und Regeln für die Zeit danach gelten würden.
Noch Anfang September textete zum Beispiel Bloomberg: "It's still possible to avoid a no-deal Brexit" und der Artikel legt dar, warum das Chaos eines ungeregelten Ausstiegs unbedingt vermieden werden sollte.
Wie wir heute wissen, kam es aber am 14.10.2018 in den entscheidenden Verhandlungen zu keinem Durchbruch und zu keiner Einigung zwischen den Unterhändlern von Grossbritannien und der EU. Als Stolperstein hat sich dabei die Frage um die Grenze in Nordirland erwiesen. Ein Austrittsvertrag und eine Erklärung über die künftigen Beziehungen hätten eigentlich bis Mitte November fertig sein müssen, um Zeit für die Zustimmung der Parlamente auf beiden Seiten zu lassen.
Da das anscheinend nun unrealistisch ist, steht die Premierministerin Theresa May vor einem schwierigen Herbst, genauso wie die deutsche Kanzlerin. Ihre Unterstützung in der Tory-Partei bröckelt und es hagelt Kritik von vielen Seiten. Charles Grant vom Think Tank "Centre for European Reform" hat im Interview mit der Bilanz eine lesenswerte Situationsanalyse geliefert:
Und für den Fall der Fälle, bereitet die BBC ihre Leser und Zuschauer schon einmal auf das nächste wichtige Datum vor: 21.Januar 2019.
Ich hoffe ja, dass die Verhandlungspartner noch zu einer sinnvollen Vereinbarung gelangen, kann mir aber sehr gut vorstellen, dass das politische Personal erneuert und ausgetauscht werden muss. Und zwar auf beiden Seiten des Ärmelkanals.
Für die Wirtschaft der EU und Grossbritanniens ist die Situation vor allem aufgrund der Unsicherheit schädlich. Die avisierte Übergangszeit vom Austritt im März 2019 bis Ende 2020 ändert daran wenig. Insbesondere für Deutschland ist das Vereinigte Königreich ein wichtiger Handelspartner (Platz 3 nach USA und Frankreich). Daher unterstelle ich, dass es ohne eine Regelung zum BREXIT für die hiesige Börse schwierig bleibt.
Im Dezember schauen wir uns dann an dieser Stelle an, wie die Diskussion mit Italiens Regierung ausgegangen ist. Ein weiterer Belastungsfaktor, ausgerechnet dann, wenn die Situation um den BREXIT Aufmerksamkeit benötigt und in der Wirtschaft gerade spannende Umbrüche stattfinden, um die man sich auch kümmern müßte. Zuviele Baustellen gleichzeitig, wenn Sie mich fragen. Für mich stehen daher die Zeichen auf Sturm statt Jahresendrallye!
Viel Erfolg beim Navigieren der derzeitigen Situation wünscht
Covacoro
(c) 2018
"Zusammenkommen ist ein Beginn,
Zusammenbleiben ein Fortschritt,
Zusammenarbeiten ein Erfolg."
Henry Ford
Kommentar schreiben
Prof (Sonntag, 21 Oktober 2018 13:06)
Erst einmal ist es sehr schade, dass der zweitgrößte Nettozahler und ein großer Verfechter der Marktwirtschaft in der EU ziehen gelassen wurde. Ein No Deal hätte wohl verheerende Folgen für die deutsche Exportindustrie.
Allerdings scheint das Niemanden abzuschrecken, Ideologie geht wohl über Pragmatismus.