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Die Rezession ist längst da

Noch wird das R-Wort selten gebraucht und die schnelle Erholung der Kurse im Januar scheint Entwarnung zu signalisieren.

 

Dabei sind die Unternehmen bereits seit mehreren Monaten mitten drin in einer Spirale aus sinkender Nachfrage, reduzierten Investitionen und einer Anpassung des Systems nach unten.

 

Es ist Zeitverschwendung um semantische Feinheiten mit Volkswirtschaftlern zu streiten:

 

Ob es "nur" eine vorübergehende Abschwächung ist oder "lediglich" eine technische Rezession für 1 bis 2 Quartale. Der Gorilla im Raum sitzt auch nicht im Weißen Haus!

 

Ich behaupte: Die Rezession ist längst da und niemand weiß, wie tief sie ausfallen wird.

Der Rat kann nur lauten, den Blick auf Kapitalerhalt und Senkung des Risikos zu lenken.


War da was?

 

Im 4. Quartal erhielten die Kurse weltweit einen Dämpfer - das ist sicher allgemein bekannt.

Dabei hatten sich die Kurse in USA über das Jahr 2018 vergleichsweise gut entwickelt, da der ökonomische Zahlenkranz (Auftragseingänge, Verbrauchervertrauen etc.) lange positiv war.

 

Dann kam die Weihnachtswoche und im Dow Jones Index sah die Entwicklung so aus:

 

Kursentwicklung Dow Jones Index, 3 Monate, Quelle: ariva.de
Kursentwicklung Dow Jones Index, 3 Monate, Quelle: ariva.de

Unter steigendem Volumen ging es abwärts bis zum Tiefpunkt am 24.Dezember.

 

Haben Sie in dieser Woche gehandelt? Wahrscheinlich eher nicht. Hatten Sie am Heiligabend nichts Besseres zu tun? Ich hoffe schon. Aber Privatinvestoren sind für die Börsentendenz ohnehin belanglos.

 

Was aber gleichfalls gilt: Auch die institutionellen Investoren waren zu diesem Zeitpunkt mit ihren Gedanken schon in 2019 und die Handelsbücher geschlossen. Niemand würde große Volumina in einen Markt hinein verkaufen, der durch sinkende Aktivität und Liquidität gekennzeichnet ist. Für Dispositionen wäre der Januar, wo neue Gelder an den Markt kommen, viel besser geeignet und man würde sich nicht die Kurse kaputt machen.

 

Und trotzdem ging es abwärts.

 

Ich habe dafür nur eine Erklärungs-Idee: Wenn Algorithmen erkennen, dass die weltweite wirtschaftliche Tendenz negativ wird bzw. die Risiken für eine tiefe Rezession überwiegen, dann verkaufen sie! Egal ob Weihnachts-Woche ist und vollautomatisch.

 

Und was könnte der Tipping Point gewesen sein? Niemand weiß es. Vielleicht waren es die Meldungen am 14. und 17.Dezember, dass das BIP-Wachstum Chinas erstmals unter 6% gefallen ist und dass sowohl der staatliche als auch der CAIXIN-Einkaufsmanager-Index unter 50 Punkten notieren.

 

Und damit kommen wir zum rechten Teil des Charts: Innerhalb von wenigen Wochen wurde der Dipp korrigiert und die Kurse stehen wieder da, wo sie Anfang Dezember bereits waren. Man könnte auch fragen: War da überhaupt was?

 

Nun, von einem Punkt können wir ausgehen: Im Januar waren alle hellwach und aktiv. Schauen Sie ruhig mal auf das Januar-Volumen im obigen Chart: konstant hoch. Alle haben eher gekauft als verkauft und der Nachfrageüberhang zog die Kurse nach oben.

 

Hatten die Käufer neue Fundamentaldaten zur Verfügung? Nein. Sind die wirtschaftlichen Frühindikatoren schlechter geworden? Ja. Also kaufen Sie entweder in Erwartung, dass es nicht so schlimm kommen wird. Oder weil es ganz sicher eine Gegenreaktion gibt. Oder weil Sie ganz ganz langfristig Investoren sind. ;-)

 

Meine Meinung, die ich nicht belegen kann: Langfristig waren die Käufe nicht ausgelegt, sondern sie folgten dem Denkmuster "wird nicht so schlimm" oder "war eine Übertreibung", deshalb kaufe ich.


Entscheidung in China?

Bleibt die Frage, wann man basierend auf Fakten und Daten sagen kann, dass die Abnahme der wirtschaftlichen Aktivität - die Rezession - eingedämmt oder beendet ist. Denn bisher ist die Einschätzung "wird nicht so schlimm" durch nichts belegt.

 

Abzuwarten wäre ja die rationale Vorgehensweise, trotz oder gerade wegen der Beobachtung, dass die Zahlen der Unternehmen nur mit Verzögerung veröffentlicht werden, die Börsenkurse aber versuchen, die Entwicklungen vorauszunehmen.

 

Die Zeit schwächerer Zahlen und vorsichtiger Ausblicke hat jedenfalls bei US-Unternehmen gerade erst begonnen: Egal ob Apple, Caterpillar oder Nvidia, egal ob Technologie oder Old Economy, überall wird über die Abschwächung in China berichtet.

 

Das Land ist die zweitgrößte Wirtschaft nach den USA mit einem BIP von kaum vorstellbaren 14 Billionen USD. Aufgrund seiner Exportstärke ist es eng mit allen Wirtschaftsräumen verflochten. In einem Artikel der Financial Times werden Steven Jen und Joana Freire zitiert, die Chinas Impact auf das Welt-BIP mittels Netzwerkanalyse bei 40% sehen - soviel wie USA und EU zusammen.

GDP Impact Rate in Prozent, Quelle: Financial Times, S.Jen / J.Freire
GDP Impact Rate in Prozent, Quelle: Financial Times, S.Jen / J.Freire

Wie hoch ist der Anteil Chinas an der Produktion von Aluminium, Stahl und Kupfer?

Wie hoch der Anteil an Internetnutzern, elektronischen Zahlungen und Onlinekäufen?

Würden diese Zahlen das obige Ergebnis stützen oder nicht?

Wenn Sie Spass am Googlen und Recherchieren haben: Machen Sie es, bevor Sie weiterlesen.


Chinas Wachstumsrate in Prozent, Quelle: Financial Times, S.Jen / J.Freire
Chinas Wachstumsrate in Prozent, Quelle: Financial Times, S.Jen / J.Freire

Mit Zahlen aus China gibt es ja immer ein Problem: Wer traut den offiziellen Zahlen noch? Eine gute Illustration ist das obige Chart, welches die Wachstumsrate der Profite vergleicht. Es besteht eine offensichtliche Diskrepanz zwischen den 3 Kurven und vor allem die offizielle Jahresrate sieht zu positiv aus. Wer nachrechnet und die monatlichen Daten zugrundelegt, sieht bereits seit Januar 2018 schrumpfende Profite!

 

Aber zurück zu obigen Fragen: Die Antwort ist einfach, wenn man folgenden Ökonomen-Spruch kennt und beherzigt: "China is now 50% of everything plus/minus 10%". Damit liegen wir fast immer richtig. Ich habe es für die obigen Fragen mittels Wikipedia, Statista und anderen Quellen nachgeprüft und war verblüfft, wie gut diese Schätzung passt (Eher auf der Oberseite). Insofern können wir feststellen, dass das Ergebnis der Netzwerkanalyse ziemlich plausibel ist.

 

Womit sich die Argumentationskette schließt: Wenn in China die Profite seit 2018 sinken und die wirtschaftliche Aktivität deutlich abnimmt, warum sollten dann die EU und die USA eine Rezession vermeiden können? Woher soll die Nachfrage kommen? Zweifel an den offiziellen BIP-Zahlen Chinas sind ohnehin valide und vermutlich ist das Land und die Weltwirtschaft spätestens seit Q4/2018 in der Rezession.

 

Die Entscheidung, wie tief das Loch diesmal gegraben wird, fällt nicht in USA oder Europa, sondern ebenfalls in China. Ich erwarte eine verzögerte Reaktion, da der Absturz im Vergleich zu 2008/09 weniger stark ausfällt. Gleichzeitig ist da ja noch der Handelskonflikt mit den USA und die Diskussion um Zölle. Daher glaube ich nicht an riesige Konjunkturprogramme oder Geldspritzen der chinesischen Regierung in 2019, die die Weltwirtschaft befeuern.


Fazit

 

Drei Botschaften sollten Sie nach Lesen des Artikels mitnehmen:

  1. Der Kurseinbruch im Dezember und die Kurserholung im Januar demonstrieren, wie die Finanzmärkte im Zeitalter des Internet und Big Data ticken. Wer das eine "effektive" Verarbeitung von Informationen nennen will, soll es tun. Aber Zweifel sind angebracht und das Verhalten ist weder risikoavers noch vorsichtig.
  2. Ökonomische Daten und Wirtschaftsindikatoren sind nachlaufend. Börsenkurse und und Marktprognosen aber vorlaufend. Daraus kann man keinen Nutzen im Sinne von Markt-Timing erzielen, da man nicht weiß, wann die Teilnehmer und Algorithmen ihre positive oder negative Einstellung ändern und die Gegenposition einnehmen.
  3. Wenn die Sicht schlecht ist, vermeiden Sie die Fahrt oder fahren besonders vorsichtig und nicht schneller. Genau das ist momentan die richtige Strategie. Der Wiederanstieg der Kurse signalisiert vermeintlich Entwarnung. Aber wir wissen noch nicht, wie stark und lang die Schrumpfung der Wirtschaft diesmal ausfallen wird.

 

Vielen Dank für Ihr Interesse am Blog und hinterlassen Sie gerne einen Kommentar, wenn Ihnen meine Recherchen und Gedanken nützlich oder diskussionswürdig erscheinen.

 

Und wie immer gilt: Eigene Meinung statt Herdentrieb.

 

(c) 2019 Covacoro

 


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Kommentare: 5
  • #1

    Atypisch Still Blog (Sonntag, 10 Februar 2019 17:19)

    Starker Artikel mit Substanz. Danke für das Gedankenmachen!

  • #2

    Prof (Sonntag, 10 Februar 2019 18:41)

    So unwichtig ist der berühmte "Sack Reis in China" Deiner Meinung nach also nicht. Denn etwa die Hälfte davon landet in der Weltwirtschaft. Ich sehe zudem noch spezielle Probleme in Europa und Deutschland. Die relative Performance des DAX zum S&P 500 ist in diesem Jahr schon wieder 4% schwächer.

  • #3

    Finanzsenf (Sonntag, 10 Februar 2019 18:41)

    Guter Beitrag. Ich denke auch, dass China die Weltwirtschaft abkühlen wird. Wie stark muss man sehen. Es ist aber nicht unwahrscheinlich das der langjährige Aufschwung nun vorbei ist.

  • #4

    Torben (Sonntag, 17 Februar 2019)

    Hallo Hans-Jürgen, danke für diesen Beitrag und das Zusammentragen der Daten. Es stehen aus meiner Sicht immer wieder zwei Einstellungen gegenüber. Zum einen wissen wir alle mittlerweile, wie du auch schreibst, dass Market Timing langfristig statistisch nicht funktioniert, also keine Überrenditen bringt. Auf der anderen Seite beschäftigen wir uns trotzdem immer wieder mit der Frage, ob es nun bergab geht oder doch weiter bergauf.

    Alle verfügbaren Daten sind ja durch das Verhalten der Marktteilnehmer in den Kursen enthalten. Von daher ist aus meiner Sicht eine noch nicht bekannte Entwicklung nötig, um die Kurse in den Süden zu schicken. Und das ist immer möglich. Das war auch 2010, 2011, 2012, 2013 usw. möglich. Und es wird 2019, 2020, 2021, ... möglich sein.

    Auf gute Investments!

  • #5

    Kantoke (Samstag, 23 Februar 2019 14:18)


    Will man das Wirtschaftswachstum in ähnlichen Bereichen halten, wie in der jüngeren Vergangenheit, so sind politische Stimuli notwendig. Genau diese werden aktuell praktiziert.
    So war eine der ersten Reaktionen auf sinkende Kreditzahlen die Kürzung des so genannten Mindestreservesatzes um 3,5 Prozent. Die Senkung der Mindestreserve war bereits ein beliebtes Instrument in China 2008/09, 2011/12 und 2015/16, jedoch in geringerem Ausmaß als dieses Mal.

    Zusätzlich wurden bereits fiskalische Gegenmaßnahmen in Höhe von 4,8 Prozent des chinesischen Bruttoinlandsprodukts des Jahres 2017 angekündigt. Diese sind definiert als Infrastrukturmaßnahmen und Steuerkürzungen. Man erkennt deutlich, dass die angespannte fundamentale Situation von den chinesischen Entscheidungsträgern erkannt wurde und bereits gegengesteuert wird.
    Es würde des Weiteren nicht wundern, wenn im März beim jährlichen Parteikongress weitere Ankündigungen folgen würden.