Nach der Sommerpause möchte ich drei Bücher empfehlen, die sich auf die Suche nach Wahrheit begeben. Jedes auf seine eigene Art und Weise.
Da ist zunächst die fiktionale Geschichte über Winston Smith in Ozeanien, die George Orwell ins Jahr "1984" verlegt, was dem Buch seinen Titel gibt. Bei Erscheinen (1949) konnte der Autor weder wissen, dass die Sowjetunion zerbrechen, noch dass China im 21.Jahrhundert erstarken würde. Auch das Internet und die Technologiesprünge der letzten Jahrzehnte waren nicht vorhersehbar. Lohnt es sich trotzdem, das Buch heute zu lesen?
Von der Fiktion zur Realität: James Comey, eigentlich für 10 Jahre zum FBI-Direktor berufen, wird 2017 von Donald Trump gefeuert. Was hat er zu sagen, was nicht auf den Titelseiten stand oder steht? Ist die Biografie "Größer als das Amt" mehr als eine Abrechnung mit seiner Entlassung? Ironie der Geschichte: Der Rauswurf zerrt die Dinge früher ans Tageslicht der Öffentlichkeit.
Und zu guter letzt habe ich "Die Geschwindigkeit des Honigs" von Jay Ingram gelesen. Einfach, aber mit Köpfchen blickt der Autor auf Phänomene des Alltags. Er stellt Fragen, die trivial erscheinen, aber die Naturwissenschaftler seit Jahren herausfordern. Meist steckt eben mehr dahinter, wenn man genauer hinschaut.
WIEDER gelesen
George Orwell hat mit "1984*" einen Klassiker geschrieben, den ich vor 30 Jahren als Student das erste Mal gelesen habe. In der englischsprachigen Wikipedia wurde dem Buch eine eigene Seite gewidmet.
Im Zentrum der Geschichte steht Winston Smith, eine graue Büromaus, die im Ministerium für Wahrheit arbeitet und sich dafür interessiert, was wohl vor der Revolution gewesen ist.
Seine tägliche Arbeit ist es dagegen, die Geschichte nach der Revolution auf Parteilinie zu bringen. Dazu müssen sämtliche Dokumente, Bücher, Artikel immer wieder umgeschrieben werden. Wann immer jemand in Ungnade fällt oder sich die "Fakten" ändern.
Was vor der Revolution war, wird systematisch verschleiert und verborgen. Die Partei will, dass ihre Bürger nur im hier und jetzt leben. Wir dürfen Bekanntschaft machen mit Telescreens, die jeden beschallen, aushorchen und beobachten. Die totale Überwachung übernimmt eine Gedankenpolizei. Da Sprache verräterisch ist, erfindet die Partei neue Wörter und Begriffe. Die Gehirnwäsche geschieht ständig und systematisch. Und so weiter und so fort...
Orwells Fiktion verdeutlicht, was möglich ist, wenn man Macht und Kontrolle zu Ende denkt und an menschlichen Schwächen und Ängsten ansetzt. Das war und ist beklemmend. Beim ersten Lesen Ende der 90er Jahre war die DDR mein Bezugspunkt. Heute, beim zweiten Lesen, überraschen mich die Parallelen zu aktuellen Entwicklungen in den USA, in China oder Europa. Schaut man also hinter die Systemfrage, wird klar, dass Orwells Buch auch 2019 brennend aktuell ist. Leseempfehlung!
GRÖSSER ALS DAS AMT
Von fiktiven "Fake News" zu echten "Fake News", von erdachten Figuren in die tatsächliche Politik, von Überwachung aus der Sicht der Bürger zur Perspektive eines Staatsanwalts und Ermitterlungsbeamten.
Das ist der Schwenk, wenn man von Orwell zu Comey wechselt. Während das erste Buch gruselt, spannend ist und kein Happy End hat, überzeugt "Größer als das Amt*" mit einer detaillierten Erzählweise und macht Mut, weil ein Mensch mit Rückgrat erzählt, der seinen Prinzipien treu bleibt. Es ist aber auch ein Dejavu'. Weil es wieder um die Suche nach Wahrheit geht und darum, wann man Sprechen und ob man Schweigen soll.
James Comey war bereits unter der Bush-Regierung Bundesanwalt. Diese Jahre prägen ihn und erkennt, wie wichtig eine unabhängige Justiz und Ermittlungsbehörden sind.
Als FBI-Direktor war er in die Ermittlungen gegen Hillary Clinton (E-Mail Affäre) eingebunden. Er mußte die Entscheidung treffen, wann welche Veröffentlichungen geschehen. Einige Kommentatoren kreiden ihm an, dass er wenige Wochen vor dem Wahltag publik macht, dass die Ermittlungen gegen Clinton wiederaufgenommen werden. Warum er so entschieden hat, legt er im Buch glaubhaft dar.
Wenige Monate später nahm das FBI Ermittlungen zur Beeinflussung der amerikanischen Präsidentenwahl durch Russland auf. Genauso wie die Ermittlungen zuvor, das wird im Buch deutlich, leitet ihn dabei das Prinzip, der Wahrheit und Transparenz verpflichtet zu sein. Er berichtet, wie es in Washington DC zugeht und benennt jene, die Loyalität zu einer Partei oder einer Gruppierung über ihr Amt stellen und bereit sind, ihr Fähnchen in den Wind zu drehen. Und er legt die Ergebnisse der Ermittlung dar und die Verbindung zu Trump.
Trumps Aufforderung nach "persönlicher Loyalität" ist für ihn ein Angriff auf seine wichtigste Grundüberzeugung: Loyalität zur Wahrheit ist größer und wichtiger als Treue zu einer Person, zu einem Amt, zu einer Partei oder irgendeiner Gruppierung. Und deshalb ist diese Biografie "Größer als das Amt*" mehr als die Abrechnung mit einer Person oder Entlassung.
Comey zeichnet einen Präsidenten ohne jede Bindung an Fakten, der wie ein Mafiaboss agiert und unfähig ist, die Meinung von Beratern und Regierungsbeamten aufzunehmen, zu bedenken und zu berücksichtigen.
"Ich denke, dieses Buch wird sich als nützlich erweisen, weil es einer ganzen Reihe von Leuten der Mühe wert war, mir die Wahrheit zu erzählen." So endet das Buch und ich vermag es nicht besser zusammenzufassen. Ich hoffe sehr, dass es in den amerikanischen Institutionen noch zahlreiche Comeys gibt!
Die Geschwindigkeit des HONIGS
Last but not least kommen wir zum Buch von Jay Ingram: "Die Geschwindigkeit des Honigs*".
Der Autor beschäftigt sich in 25 Kapiteln mit Phänomenen des Alltags, die auf den ersten Blick einfach wirken. Wenn man aber näher hinsieht, was tatsächlich abläuft, ist man oft verblüfft.
Neben der Honiggeschichte, die mindestens 3 Haken schlägt und dem Buch den Titel gab, fand ich zum Beispiel verblüffend, dass ein rotierendes Glas über einen Tresen geschoben eine vorausberechenbare "Flugbahn" hat. Die gleiche Physik aber beim Curling versagt, wo ein Granitstein rotiert (ringförmig aufliegend) und über Eis geschoben wird. Vordergründig die gleiche Situation...
Klingt zu physikalisch mathematisch?
Vielleicht interessieren Sie ja dann eher Fragen wie: Warum erscheint der Hinweg immer länger als der Rückweg in fremder Umgebung? Warum können wir den Blick einer Person förmlich spüren oder ist das Einbildung? Warum vergeht die Lebenszeit in unserer Jugend gefühlt langsamer und im späteren Leben verfliegen die Jahre? Auch diesen Fragen geht Ingram nach, ganz ohne Pseudowissenschaft, aber mit viel Recherche und leicht verständlichem Erzählstil.
Ich fand das unterhaltsam, auch wenn nicht jede Frage vollständig erklärt werden konnte. Wissenschaft in dieser Verpackung läßt uns innehalten, unter die Oberfläche blicken und nachdenken. Man möchte einfach mehr solche Geschichten lesen - der Neugier sei Dank.
Gute Lektüre!
(c) 2019 Covacoro
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