Die genial einfache Vermögensstrategie* - ein weiteres Buch aus der Serie "Genial", "Einfach" und "Beliebig"?
Wäre da nicht das Autorenteam um Martin Weber, das sich bereits einen Namen bei der Vermittlung finanzieller Bildung in Deutschland gemacht hat, könnte man das annehmen.
Gut in Erinnerung sind mir beispielsweise sein Buch Genial einfach investieren (2007), sowie Studien und Vorträge zur Begleitung des Investmentsfonds ARERO seit 2008.
Also habe ich das Buch aus dem Blickwinkel gelesen, welche Neuigkeiten es im Vergleich zum Vorgänger bereit hält. Kann die Behavioral-Finance-Forschung dem Privatanleger vermitteln, dass nur Anlagehorizont und Risikotoleranz wichtig sind, um die optimale Anlagestrategie zu finden, wie es der Klappentext behauptet? Ist Geldanlage über den Lebenszyklus einfach umsetz- und durchhaltbar, wenn man dieses Buch gelesen hat?
Diese Fragen suche ich in meiner Rezension zu beantworten.
Der Inhalt im Überblick
Beginnen möchte ich mit dem gewohnten Kapitelüberblick, denn jede Reise benötigt Orientierung. Hier sind die Wegzeichen, die das Autorenteam dem Leser an die Hand gibt:
- Kapitel 1: Sparen und Anlegen im Lebenszyklus - Eine Einleitung
- Kapitel 2: Rendite, Risiko, Anlageklassen und Anlagestile
- Kapitel 3: Behavioral-Finance-Forschung - Über Psychologie der (Ent-)Sparer
- Kapitel 4: Wissenschaftlich fundiert investieren - Wie geht's?
- Kapitel 5: Umsetzung und Beurteilung konkreter Anlagemöglichkeiten
- Kapitel 6: Investieren im Zeitverlauf
- Kapitel 7: Die Renteneintrittsentscheidung - Wann gehe ich in Rente?
- Kapitel 8: Entsparen - Die Wahl zwischen Rente und Einmalzahlung
- Kapitel 9: Strategien für kontinuierliches Entsparen
- Kapitel 10: Umsetzung der Geldanlage - Eigenständig versus Berater
- Danksagung, Anmerkungen, Anhang und Register
Die Reiselänge beträgt 250 Seiten. Geübte Leser bewältigen sie in wenigen Tagen. Das Buch beweist Mut zur Lücke: Immobilien oder Sehenswürdigkeiten werden nicht besichtigt. Konkrete Restaurant-Empfehlungen oder Produkt-Geheimtipps unterbleiben und die Einheimischen jedes Kapitels werden möglichst prägnant und kurz beschrieben, ohne Anekdoten zum Besten zu geben.
Nur so war das Ziel erreichbar, Geldanlage
über einen Lebenszyklus im Ritter Sport XXL-Format unterzubringen.
Ein Buch wenig dicker als eine Tafel Schokolade.
Freilich wird es Leser geben, die sich mehr Details wünschen. Die gerade Reiseführer lieben, die aus dem Nähkästchen plaudern. Für diejenigen ist der Stil der versammelten Reiseleiter zu nüchtern und sachlich.
Ihnen kann aber geholfen werden:
Entweder laben sie sich an den gewitzten Büchern von Georg von Wallwitz, zum Beispiel Odysseus und die Wiesel*, oder verspeisen das volle Degustations-Menu eines Praktikers, der weiß, wovon er spricht: Michael Braun Alexander - Richtig reich*.
Meine Meinung zum Buch
Damit aber zurück zum Buch selbst, dessen Titel genial und einfach zitiert, um Kaufinstinkte einer bestimmten Zielgruppe anzusprechen. Spätestens im Kapitel 3 lernen die Leser, dass es ihre Instinkte sind, denen sie gründlich misstrauen sollten. Falls sie also anhand des Titel kaufen, begehen sie vermutlich regelmäßig einen Fehler!
Schwerwiegender wäre aber, gar nichts Gedrucktes mehr in die Hand zu nehmen und so müssen Leser und Rezensenten mit diesen schlechten Titeln weiter leben.
Werden die wichtigsten Punkte angesprochen, um finanzielle Unabhängigkeit durch Sparen zu erreichen? Ganz klares Ja.
Wird ein Modell dargelegt und begründet, wie man sparen und entsparen soll, unter Vermeidung der typischen Fehler, die Rendite kosten? Ganz klares Ja.
Ist die dargelegte passive Anlagestrategie einfach? Wenn man die nötige Selbstdisziplin besitzt und seinem Plan treu bleibt, zweifellos Ja.
Und was ist mit den eingangs gestellten Fragen?
Findet der Interessent neue Ergebnisse der Behavioral-Finance-Forschung? Solche Daten sind zweifelsohne in den Text eingeflossen, wie man mittels Quellenverzeichnis überprüfen kann, wo Texte ab 2015 ca. 25 bis 30% ausmachen.
Nur funktioniert es nicht, das Buch unter diesem Blickwinkel zu lesen, was seit 2007 neu erforscht wurde. Es ist alles zu einem roten Gewebe oder einer "Storyline" verwoben. Daher hat man als Vorgebildeter am Ende das Gefühl, wenig Neues erfahren zu haben.
Wird die im Klappentext aufgestellte Behauptung untermauert, dass nur Anlagehorizont und Risikotoleranz wichtig sind, um die optimale Anlagestrategie zu finden? Der Autor dieser Rezension meint: klares Nein.
Denn auch wenn man um die Fallstricke der eigenen Psychologie weiß, kann man Fehler nicht vollständig ausschalten. Daher ist der Umgang mit ihnen ein zentraler Punkt einer Anlage-Strategie.
Die Ökonomen haben zunächst argumentiert, dass wir alle "Homo oeconomicus" sind und uns bei der Vermögensanlage rational verhalten, den Nutzen maximieren. Dann fand man zahlreiche Gegenbeweise. Die Wissenschaftler der Behavioral Finance argumentieren nun, dass wir stark aus dem Bauch heraus handeln und Denkfehlern unterliegen. Aber mit Selbstdisziplin würde aus Geldanlage ein Kinderspiel - wir können die idealen Entscheidungen treffen.
Was wir an den Märkten und in unserer Umgebung aber beobachten: weder Ökonomen noch Psychologen, weder Profis noch Amateure beherrschen das Kinderspiel. Sondern sie machen immer wieder Fehler. Trotz definiertem Anlagehorizont und Risikotoleranz.
Viele Leser und Praktiker sind da demütiger und vorsichtiger in ihren Aussagen. Sie wissen, dass Selbstdisziplin schwierig ist, Fehler dazu gehören und weder rein ökonomisches noch rein gefühlsmäßiges Handeln optimal für Ergebnis und Wohlfühlen sind.
Sie erwarten also nicht, dass Geldanlage über den Lebenszyklus mit ausschließlich angenehmen Erfahrungen und Erfolgen gesäumt ist. Sie erwarten nicht, das alles genial einfach ist. Sie sind zu Anstrengung bereit und suchen Hilfe, Fehler rechtzeitig zu erkennen, wenn sie passieren.
Insofern werden sie mit dem Buch sicher umgehen können. Quadratisch, praktisch und gut, wie es prinzipiell gestaltet und geschrieben ist.
(c) 2020 Covacoro
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Prof (Sonntag, 14 Juni 2020 11:12)
Danke für Deine Rezension. Ja mit den "Richtig Reich" Büchern ist das so eine Sache. Da wird man wohl immer skeptisch sein.
Wenn man wenigstens weiß, dass Selbstdisziplin wichtig ist und Emotionen bei der Geldanlage möglichst außen vorgelassen werden sollten, ist viel geholfen. Wir sind keine Maschinen, aber vielleicht können wir den Anteil der erfolgreichen Trades durch Disziplin etwas erhöhen.